Category: Nicht menschlich Geschichten

Dunkler Abgrund Ch. 11

by MagnoliaS©

Notiz der Autorin: Diese Geschichte enthält viel Handlung, NonConsent-Elemente, BDSM (mit und ohne Zustimmung), Homosexualität (ff, mm), psychische und physische Folterbeschreibungen und eine Liebesgeschichte. Sie ist lang und entwickelt mit der Zeit einen verhältnismäßig komplexen Handlungsablauf.

Wer auf der Suche nach einem Quickie ist - und das sind wir alle mal - sollte sich vielleicht noch einmal umschauen. Alle Figuren und Ereignisse in dieser Geschichte - auch die, die sich auf real lebende Personen beziehen - sind gänzlich frei erfunden. Die Autorin hat keinerlei journalistische Ausbildung und nicht über alles, was sie schreibt, hat sie vorher auch wirklich nachgedacht. Zudem enthält die folgende Geschichte viele schlimme Wörter und aufgrund ihres Inhalts sollte sie von niemandem gelesen werden.


Kapitel 11

Holly tauchte in den Irrgarten aus schulterhohen Hecken ab und riss nach dem Betreten ein Blatt von einem der Büsche. Zwischen den Fingern zerfetzte sie den grünen Stängel und begann dann systematisch das Blatt zu zerteilen. Unter ihren Fingernägeln sammelte sich schnell das saftig grüne Fleisch der Pflanze und färbte die Spitzen. Der Geruch von Erde und Leben erfüllte die Luft, bevor sie die Reste wegwarf und weiterging.

Nach ein paar Schritten warf sie einen verwirrten Blick zurück. Tatsächlich, die Hecke wuchs mit jedem Schritt in die Höhe. Wenn sie noch weiter hineinging, würde sie nicht mehr über die Büsche hinwegsehen können, um den Ausgang zu finden. Sie könnte sich verlaufen. Nachdenklich blieb sie stehen. Auf der anderen Seite konnte sie es einfach nicht über sich bringen, wieder ins Haus zurückzugehen. Es war einfach demütigend, dass sie zum Aufpasser für eine Vampirgeliebte geworden war, die nicht auf sich selbst aufpassen konnte. Und das alles nur, weil sie nicht richtig hexen konnte!

Bisher hatte diese Unzulänglichkeit keine Rolle gespielt. Und wenn es mal erwähnt wurde, dann immer mit dem Nachsatz, dass sie trotzdem ein vollwertiges Covenmitglied war. Und dass die Kraft noch kommen würde. Sie hatten ihr alle immer vorgebetet, dass sie vielleicht sogar eine der besten wäre. Denn nur die besten Hexen würden ihre Kräfte über lange Zeit sammeln und eines Tages einfach in einer Art Bombe platzen lassen. Doch das waren alles nur Lügen gewesen. Sie war hintergangen worden. Von allen. Von ihren Freundinnen. Von Pheobe und Michelle. Von allen.

Sie schnaubte und riss ein weiteres Blatt ab, das ihrer Wut zum Opfer fiel. Heute hatte sich gezeigt, wie ihre Freundinnen wirklich über sie dachten. Sie konnte nicht fassen, dass sie so einfach gesagt hatten, dass sie hier bleiben sollte. Als sei sie nur ein unangenehmes Anhängsel und keine Hilfe. Als sei sie vollkommen unnütz. Nicht so wie die anderen. Sondern ein Außenseiter.

Holly war ihr ganzes Leben eine Außenseiterin gewesen. Sie war nicht beliebt an ihrer Highschool gewesen, hatte keinen Freund gehabt und den ersten Sex hatte sie mit einem Vollhorst, der nur seinen Saft abspritzen wollte. Sie hatte ihm nichts bedeutet. Sie bedeutete überhaupt niemandem etwas. Pheobe hatte sie nur als Freundin bezeichnet, weil sie sich schuldig gefühlt hatte, nachdem sie sie für Sex verzauberte. Das hätte ihr schon damals einen Hinweis darauf geben sollen, was für ein Mensch Pheobe wirklich war: Eine Lügnerin.

Und Michelle? Michelle kam immer nur zu ihr als Freundin, wenn sie selbst Probleme hatte und Hilfe brauchte. Nicht einmal Laura, ihre Kellnerin, konnte sie als Freundin bezeichnen, denn dafür war sie zu sehr der Boss von ihr. Heute, als es hart auf hart kam, wendeten sie sich geschlossen von ihr ab und schickten sie zum Spielen nach draußen. Sie fühlte sich wie ein Kleinkind. Nein, besser: Wie ein Hund. Ein unnützer Hund, der nicht einmal Alarm schlagen konnte, wenn jemand ins Haus einbrach.

Warum hatten ihre Freundinnen denn nicht von vorn herein gesagt, dass sie nicht kommen sollte? Dann wäre sie jetzt in ihrem Diner und gäbe sich immer noch der Illusion hin, echte Freunde zu haben und nicht nur Menschen, die sich mit ihr abgaben, weil sie die Besitzerin des einzigen Treffpunkts in der Nacht war.

Gott, wie dumm sie doch gewesen war. Sie war sogar dankbar gewesen, dass sie von Zeit zu Zeit mal die Treffen ausrichten durfte. Sie hatte gern für Essen und Getränke gesorgt. Und dabei sprachen die Hexen hinter ihrem Rücken nur von ihr als nutzloses, einfältiges Ding, das man nach Lust und Laune wegschieben konnte.

Holly warf das Blatt zu Boden und trat im Weitergehen auf die Reste, während sie die Arme um ihren Oberkörper schlang. Ihre Wangen fühlten sich in dem Luftzug, die durch die Heckenwände drang, kühl an und entsetzt merkte sie, dass sie weinte. Sie schniefte leise und wischte sich das Gesicht trocken. Jetzt heulte sie auch noch. Wahrscheinlich war sie wirklich so ein Waschlappen, für den die anderen Frauen sie hielten. Ein wimmerndes, kleines Mädchen, das aus dem Raum geschickt wurde, wenn über Erwachsenenthemen gesprochen wurde.

Sie sollte einfach gehen. Sie sollte wirklich einfach ihre Sachen packen und dieser ganzen Meute an verlogenen Hexen den Rücken kehren. Wieder tupfte sie die neuen Tränen von ihrer Wange und wischte mit dem Aufschlag ihrer Fleecejacke ihre Nase ab. Angewidert von sich selbst schnaubte sie. Nein, sie würde nicht gehen. Sie würde nicht wie ein geschlagener Hund das Weite suchen. Sie würde sich nicht wieder einreden lassen, dass sie minderwertig war, weil sie nicht perfekt war. In der Highschool war sie nicht gut genug gewesen, weil sie nicht so hübsch und schlank wie die anderen Mitschülerinnen war. Auf dem College war sie nicht gut genug gewesen, weil sie eigentlich lieber im Diner arbeiten wollte, als Hausarbeiten zu schreiben. Und bei den Hexen war sie nicht gut genug, weil sie nicht hexen konnte.

Dabei hatte es niemand so hart versucht wie sie. Sie hatte geübt und geübt. Hatte sich nächtelang die Formeln und Rituale eingehämmert, um ja nie etwas falsch zu machen. Doch in dem Moment, als es darauf ankam, wurde sie auf ihren Platz verwiesen, während die Cheerleader ihren Job taten und bejubelt wurden.

Wut knotete ihren Magen zu einem hässlichen, grün schleimigen Pfropfen aus Selbstmitleid, Eifersucht und Ärger zusammen. Sie hatten das gar nicht verdient. Keine der anderen hatte ihre Kräfte verdient. Sie waren doch alle mit der Nase in der Luft geboren worden, um auf sie hinunter zu sehen. Doch das würde sie sich nicht bieten lassen. Sie würde ihnen schon noch zeigen, dass sie als einfache Kellnerin und Imbissbesitzerin ohne weitere Fähigkeiten sehr wohl in der Lage war, ihnen zu helfen.

Sie würde sich in den Bus schleichen, bevor die anderen alle losfuhren. Sie würde mitfahren und Damon im Alleingang fertig machen. Dann würden ihr alle...

Gott! Was redete sie denn da? Im Alleingang fertig machen? Hatte sie den Verstand verloren? Wahrscheinlich, denn nur eine Verrückte würde sich darüber aufregen, dass ihre Freundinnen besorgt um ihr Wohlergehen waren. Doch darum ging es eigentlich auch nicht. Es ging darum, dass ihr gar nicht die Entscheidung gelassen wurde. Sie wurde übervorteilt, hintergangen. Sie wurde zu einem Menschen zweiter Klasse degradiert, dabei war sie genau so viel wert wie die anderen. Sie sollte hier bleiben, dabei konnte Amanda aus der Missouri-Cove nur feine Wassertröpfchen aus den Fingerspitzen quellen lassen. Sie war genau so nutzlos! Ihre Stelle im Bannkreis könnte auch Holly übernehmen. Sie hatte zwar keine individuellen Kräfte, aber in einem Kreis konnte sie ohne Probleme ihre Lebenskraft an die anderen geben. Und zu mehr wurde Amanda auch nicht mitgenommen. Weshalb dann Holly und nicht sie?

Es war einfach unfair! Verdammt unfair! Und sie konnte auch mit niemanden darüber sprechen, weil sie damit zugegeben hätte, dass diese Zurückweisung sie verletzte. Auf Mitleid hatte sie keine Lust. Das verbot ihr schon der letzte Rest ihres angeknacksten Stolzes.

Holly blieb stehen und wischte mit der Fußspitze ein paar liegengebliebene Äste vom Boden, bevor sie sich hinsetzte und ihre Knie bis ans Kinn zog. Sollte sie wirklich hier bleiben? Im Haus eines emotionslosen, eiskalten Vampirs und seiner lebensmüden Geliebten? Sie konnte einfach nicht verstehen, wie diese gesichtslose, unbekannte Frau diesen Wahnsinnigen mit ins Bett nahm. Doch es blieb kein Zweifel, dass sie miteinander fickten. Das ganze Haus stank regelrecht nach Sex. Ob sie sich wohl bezahlen ließ? Holly selbst würde nicht für alles Geld der Welt mit einem Mann schlafen, der das Wort TÖDLICH in narbigen Großbuchstaben auf seinem Körper verewigt hatte. Ein Vampir war doch nichts weiter als die tote Hülle eines Dämons. Daran war so gar nichts sexy. Das war Nekrophilie; Sex mit Toten und nichts anderes.

Ihre Gedanken wanderten automatisch zu Lukan. Okay. Vielleicht verstand sie ja schon bis zu einem gewissen Grad, was die Anziehung dieser Untoten ausmachte. Allerdings wäre sie selbst niemals so dämlich ins Haus eines Vampirs einzuziehen und ihm die Hand zu halten, während er einen Krieg plante und vielleicht auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Sie würde sich von Lukan fern halten, schwor sie sich ein weiteres Mal. Im selben Moment spürte sie plötzlich seine Anwesenheit. Es war einfach die Gewissheit, dass er dort in der Dunkelheit war und sie betrachtete. Doch es war kein unangenehmes Gefühl. In ihrem Unterbewusstsein gab es auch keine Meldung für Gefahr, deshalb hob sie einfach den Kopf und starrte in die ungefähre Richtig, in der sie ihn vermutete, statt zu flüchten. Obwohl er ein Vampir war und demnach genau so gefährlich wie dieser Alec und Jean Antoine, war die Anwesenheit dieses Untoten gleichzusetzen mit diesem ganz bestimmten Gefühl von Sicherheit. Allumfassender Sicherheit, die man eigentlich nur verspürt, wenn man in der eigenen abgeschlossenen Wohnung schläft und weiß, dass einem nichts passieren kann, weil nebenan ein Bulle wohnt. Und der Hund drei Tage nichts gegessen hat. Sie hatte zwar keinen Hund und eigentlich auch keinen Nachbarn, denn ihre Wohnung über dem Diner war die einzige in dem Haus. Trotzdem war es genau dieses Gefühl. Und das verunsicherte sie noch mehr als diese grauenvolle Begegnung mit ihm und seinen Reißzähnen vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden.

„Ich weiß, dass du da bist", begrüßte sie ihn schließlich ziemlich unwirsch und legte ihre Wange wieder auf ihr Knie. „Es ist lächerlich, dass du dich vor mir versteckst. Ich bin schließlich kein blutsaugendes Monster."

„Ich auch nicht." Aus einer ganz anderen Richtung, als sie vermutet hatte, löste sich Lukan aus dem Schatten und tauchte seine Hände in die Hosentaschen. Die Schultern angezogen, als sei die laue Frühlingsnacht zu kühl für ihn, betrachtete er sie ruhig. In der Dunkelheit konnte sie kaum seine Augen sehen, doch sie fühlte seinen Blick wie eine Berührung auf nackter Haut.

„Ich trinke zwar Blut und ja, auch frisches, aber ich bin deshalb kein Monster", fügte er schließlich hinzu. Sein Akzent klang plötzlich hart und unerbittlich. Voll dunkler Erotik.

Sie zog wortlos eine Augenbraue hoch und schlang die Arme enger um sich.

Lukan zuckte mit den breiten Schultern und legte den Kopf schief. „Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich ein Vampir bin. Ich bin es nicht freiwillig geworden und ich habe selbst lange genug mit meiner Existenz gekämpft. Jetzt werde ich nicht anfangen mich vor anderen zu rechtfertigen."

Ihre Augenbraue senkte sich langsam. „Nicht freiwillig?" Das schien ihr an der langen, untypischen Ansprache das Interessanteste zu sein.

„Jean Antoine hat nicht viel übrig für das Wort ja. Ihm gefällt nein in vielerlei Hinsicht besser", gab Lukan trocken zurück. Seine Stimme klang grausam sinnlich, als sei nichts dabei.

Doch Holly hob den Kopf und starrte ihn ab. Obwohl er vollkommen ungerührt gerade mehr oder wenig zugab, dass er von Jean Antoine vergewaltigt, umgebracht und gegen seinen Willen zum Vampir gemacht worden war, spürte sie einfach, dass Lukan litt. Er litt unter der Situation, er litt unter Jean Antoine, er litt darunter, dass er nichts verändern konnte; dass er von niemanden Hilfe erwarten konnte. Und er litt darunter, dass sie, Holly, sich gerade ebenfalls von ihm abwandte.

Obwohl sie ihn kaum kannte und obwohl es klüger wäre, sich von ihm fern zu halten, stand Holly auf und ging einen Schritt auf ihn zu. „Das tut mir leid, Lukan."

Er schnaubte uninteressiert und zog seine Hände aus den Hosentaschen, bevor er seine Arme vor der Brust verschränke. Seine Muskeln pulsierten, als versuche er sich aus irgendeinem Grund zu zügeln. „Mach dich nicht lächerlich."

Sie ging einen weiteren Schritt auf ihn zu und merkte, dass er von ihr zurückwich. Trotzdem ließ sie nicht nach, sondern ging weiter auf ihn zu. „Ich mache mich nicht lächerlich. Es tut mir leid für dich, Lukan. Es tut mir leid, dass du von Jean Antoine..." Sie unterbrach sich und schluckte das vergewaltigt wurdest herunter. Lukan würde mit Sicherheit wegrennen, wenn ihm bewusst wurde, wie viel er durch diese kleine Ansprache bereits verraten hatte. „...gegen deinen Willen verwandelt wurdest." Lukan schien ein Mann zu sein, der ungern redete und noch viel weniger gern etwas von sich preisgab. Und trotzdem schien sie auf unheimliche Weise einfach zu wissen, dass er alles tun würde für ein bisschen Verständnis und Zuspruch. Doch bevor er das tat, würde er sie immer wieder wegschubsen. Sie auf Abstand halten.

Wie auf Kommando wich Lukan zurück und seine Nackenmuskulatur verspannte sich sichtbar. „Achja? Tut dir das leid?" Er schnaubte wieder. „Mir nicht. Weißt du, was für ein Gefühl das ist, ein Gott zu sein? Stärker als jeder Mensch? Ich könnte dich jetzt, hier, in Stücke reißen und du würdest vorher nicht einmal schreien können." Bedrohlich trat er auf sie zu. Doch statt zurückzuweichen, tat sie es ihm nach, bis sie kaum noch einen Meter voneinander getrennt waren. Die Muskeln seiner Arme zogen sich sichtbar zusammen, als er gestikulierte. „Er hat mir ein Geschenk gegeben. Ich", er breitete die Arme aus, als wolle er den Himmel umarmen, „bin unsterblich und absolut tödlich. Nichts ist für mich zu gefährlich. Nichts ist unerreichbar. Ich kann die ganze Welt bereisen. Nichts hält mich auf. Keine Verantwortungen, keine Grenzen, keine Limits." Mit jedem Wort wurde er lauter, bis er fast schrie. „Unsterblich, unbesiegbar zu sein ist der Traum eines jeden Menschen und ich bin es! Ich schwimme im Geld und brauche nichts weiter als Blut, um zu leben! Was klingt daran nicht verflucht fabelhaft? Klingt das nicht nach einem absoluten, verfickten Traumleben?"

Holly schüttelte langsam den Kopf. „Es klingt nach Einsamkeit." Ihre Stimme klang im Gegensatz zu seiner fast wie ein Flüstern. „Es tut mir leid, Lukan", wiederholte sie, weil sie einfach wusste, dass er es brauchte.

Sein Mund verzog sich und sein Gesicht formte eine groteske Fratze. „Du hast keine Ahnung! Du hast keinen blassen Schimmer! Ich regiere diese ganze verdammte Welt! Das ist nicht einsam! Daran ist rein gar nichts einsam! Ich bin laufend von Leuten umgeben. Jean Antoine hat mir ein Geschenk gemacht, als er mich verwandelte. Ich hätte es begrüßen müssen. Aber ich habe ihn dazu gezwungen, statt es zu begrüßen."

Holly näherte sich ihm vorsichtig ein weiteres Stück. „Es ist nicht deine Schuld, Lukan."

„Deine psychologischen Tricks funktionieren nicht bei mir, Mädchen. Denn du verstehst es einfach nicht!" Er schüttelte den Kopf. „Du kannst es gar nicht verstehen. Ich habe Jean Antoine dazu gebracht, dass er mir vertraut. Dass er sich in mich verliebt. Dass er in mir den Sinn seines Lebens sieht. Nur um ein paar Schmugglergeheimnisse aufzudecken." Er ließ die Hände sinken und ballte sie neben seiner Hüfte zu Fäusten. „Ich habe ihn dazu gezwungen, mich zu verwandeln, weil ich mich plötzlich von ihm abwandte. Er musste es tun. Ich ließ ihm keine Wahl."

„Er hatte die Wahl. Er hätte dich gehen lassen können."

Lukan entspannte systematisch seine Hände und sah sie gehässig an. „In deiner perfekten Zuckerwattewelt vielleicht. Aber das hier ist die Realität. Und in der Realität kann man nicht einfach einen uralten Vampir manipulieren ohne den Preis zu zahlen."

„Du hattest keine Ahnung, dass er ein uralter Vampir ist."

„Hörst du mir nicht zu?" Sein Grinsen wurde bösartig. „Du bist einfach zu dumm, um das zu verstehen."

Diesmal verharrte sie. „Ich bin nicht dumm. Und ich verstehe sehr wohl." Sie überbrückte die letzten Zentimeter zwischen ihnen und schlang die Arme um seine Taille. Vorsichtig hielt sie ihn im Arm und wartete darauf, dass er die Umarmung erwiderte. An ihrem Ohr fühlte sie, wie er sich abwechselnd entspannte und versteifte. Schließlich ließ er seine Hände sinken und ballte sie neben seiner Hüfte zu Fäusten.

„Es tut mir leid für dich, Lukan. Du hast keine Schuld daran, okay?"

Er erwiderte nichts darauf und als sie den Kopf hob, sah sie, wie er blind über ihren Kopf hinweg sah. Sie drückte sich fester an ihn, bis sie endlich fühlte, wie er sich endgültig entspannte und sich auf ihr Verständnis einließ. Seine Brust hob sich plötzlich und ihr wurde bewusst, dass er bis zu diesem Zeitpunkt nicht geatmet hatte. Erschaudernd fragte sie schnell, um nicht mehr darüber nachzudenken: „Du warst ein Schmuggler?"

Lukan ließ sich eine Weile Zeit mit der Antwort, als brauche er noch einen Moment, um seine Gedanken zu verarbeiten. Er landete schließlich im Hier und Jetzt, um gleich darauf in die Vergangenheit einzutauchen. „Ich war Prohibitionsagent. Ein ziemlich guter sogar." Er seufzte tief und begann gedankenverloren über ihren Rücken zu streicheln. Sie ließ ihn nicht los, obwohl ihr ihre Instinkte zur Flucht rieten, doch sie wusste, wie sehr er genau das brauchte. Diese Umarmung.

„Mein Vater war Alkoholiker und ist daran zu Grunde gegangen. Uns hat er nicht viel hinterlassen. Ich bin ziemlich früh auf die schiefe Bahn geraten, doch der Cop, der mich eines Tages beim Klauen erwischte, hat mich unter seine Fittiche genommen. So bin ich irgendwann Agent geworden. Ich hab mich meist als betrunkener Tourist ausgegeben auf der Suche nach den Flüsterkneipen, die illegal Alkohol ausschenkten. Die Informationen habe ich dann am nächsten Morgen weitergegeben und es folgte eine Razzia. Ich verdiente natürlich nicht viel. Ich hab sogar in einer dreckigen Butze in einem Kellergeschoss gewohnt." Er lächelte, als würde ihn die Vorstellung heute amüsieren. Dann endete das Lächeln abrupt. „Bei meiner Arbeit habe ich Jean Antoine kennengelernt. Er war einer der ganz Großen in Schmugglerkreisen. Hat Alkohol aus Südamerika über das Meer nach Amerika geschleust. Um seine Geschäfte zu überprüfen und um die Gewinne einzusacken, kam er oft in die Stadt, aber meist blieb er lieber in seinem Land. Dass er an diesem Abend in dieser Kneipe war, war Zufall. Ich sollte eigentlich nur für ein paar Informationen sorgen, aber Jean Antoine hat sofort Interesse an mir gezeigt." Er verstummte kurz, als würde er darüber nachdenken, wie er diese Art von Interesse erklären sollte, ohne sie auf die richtigen Gedanken zu bringen. Es war ihm offensichtlich peinlich, deshalb tat sie, als wüsste sie nicht, was er meinte.

„Und dann?"

„Er lud mich zu einer Privatparty ein und danach war ich regelmäßig in seiner Gesellschaft. Nach drei Monaten musste er schließlich zurück nach Südamerika und nahm mich mit. Er verschaffte mir alle Informationen, die ich brauchte, um nicht nur ihn, sondern die ganze Schmugglerorganisation an der Westküste in die Luft jagen zu lassen. Aber ich tat es nicht."

Holly runzelte verwirrt die Stirn. „Warum?" Ihre Finger strichen beruhigend über seinen Rücken, um ihn am Reden zu halten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nie viel geredet. Doch es hatte in ihm rumort. Vielleicht sprudelte deshalb einfach alles aus ihm heraus, sobald sie nur die kleinsten Nachfragen stellte.

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