Category: Nicht menschlich Geschichten

Dunkler Abgrund Ch. 06

by MagnoliaS©

Kapitel 6

Es war halb fünf in der Früh und trotzdem war Holly Matthews Laden überlaufen. Überall saßen, standen und liefen Frauen zwischen den Tischen hin und her und verwandelten das Fünfzigerjahre-Diner in ein stehendes Chaos. Serviettenspender wurden auf Fensterbänke verschoben, weil die Frauen irgendwelche Tricks zeigen wollten und Platz brauchten. Tische standen am Rand und stattdessen hatten sich ein paar ältere Damen auf den Boden in einen Kreis gesetzt. Leere Teller, Kaffeebecher, Klamottenberge und Handtaschen waren überall auf dem Boden und auf sonst allen Flächen verteilt. Und Holly wollte erst gar nicht darüber nachdenken, wie es in der Toilette aussah.

Eigentlich öffnete Holly ihren Laden immer um vier Uhr in der Früh, weil sie in dieser Zeit immer wunderbar ihre Rechnungen, Bestellungen und Inventuren machen konnte, während sie am Tresen saß. Außerdem hatte sie vor dem Auftauchen der Frühaufsteher, Trucker und Workaholics etwas Luft, um lästige Aufgaben, wie das Auffüllen der Serviettenspender, der Salz- und Pfefferstreuer, der Kaffeebohnenmahlmaschine und der Besteckkisten zu erledigen. Ja, normalerweise war dies die ruhigste Zeit des Tages für Holly. Erst um sechs kam ihr Koch und ihre Hilfskellnerin, und um zwölf gab es dann den Schichtwechsel. Zumindest für den Koch und Hollys Mitarbeiterin; Holly selbst blieb meist noch bedeutend länger, schließlich war dieser Laden alles, was Holly noch besaß.

Sie war gerade auf dem College und hatte das erste Semester hinter sich gebracht, als ihr Vater bei einem Angelausflug ins Wasser fiel und ertrank. Der Pathologe stellte später fest, dass er einen Herzanfall hatte; wahrscheinlich aufgestaut von dem vielen Stress. Der entspannende Ausflug war einfach zu spät gekommen.

Hollys Herz zog sich leicht zusammen, als sie an ihren Vater dachte. Er hatte sich die Hände abgearbeitet, um ihr das College zu finanzieren, deshalb hatte sie ihm nie sagen können, dass sie viel lieber zusammen mit ihm in seinem Diner gearbeitet hätte. Er war immer so stolz auf ihre guten Noten gewesen und hatte ihr immer etwas Besseres fürs Leben gewünscht, als sich in Frittierfettdünsten die Hacken abzurennen. Doch Holly liebte diese Dünste; es erinnerte sie an bessere Zeiten und an das Gefühl geliebt zu werden.

Ihre Mutter hatte sich kurz nach ihrer Geburt einfach aus dem Staub gemacht. Ihr Vater hatte nie viel über sie erzählt und Holly selbst hatte nie nachfragen wollen, weil sie merkte, dass es ihm immer noch weh tat. Heute erfüllte sie nur noch Wut, wenn sie an diese grausame, gesichtslose Frau dachte.

Trotzdem... Vielleicht hatte ihr immer ein Mutterersatz gefehlt. Vielleicht war sie deshalb Pheobe hinterhergelaufen wie eine Besessene. Pheobe war bedeutend älter als sie. Schon damals, als sie sich bei einem Highschool-Buchgruppentreffen kennengelernt hatten, hatte Holly eine seltsame Faszination für die ewige Vierzigjährige empfunden. Sie war so belesen, so klug, so intelligent. So ganz anders als ihre albernen Mitschülerinnen und Mitschüler.

Sie hatte die Frau angebetet. Und mehr als das. Zuerst war es noch der Wunsch gewesen, sie zu imitieren, doch bald wurde etwas anderes daraus, das Holly bis heute nicht so wirklich verstanden hatte.

Pheobe hatte den Buchclub geleitet und hatte sich immer besonders viel Zeit für Holly genommen. Zuerst hatte sich Holly noch eingebildet, dass die ältere Frau einfach nur interessiert an ihrer Buchkenntnis war, doch bald musste Holly sich eingestehen, dass Pheobe nicht nur intellektuelles Interesse an ihr hatte. Und es schmeichelte ihr. Auf eine seltsame Weise. Auf eine erregende Weise. Obwohl sie eine Frau war.

Wäre sie damals, kurz vor ihrem Abschluss, nicht so neugierig gewesen, was es mit Pheobes Interesse auf sich hatte, sähe ihr heutiger Morgen ganz anders aus. Nicht so chaotisch und auch nicht so... schön.

Doch Holly war neugierig gewesen. Und geschmeichelt vom Interesse der schönen, gebildeten Frau. Irgendwann hatte Pheobe Holly zu sich nach Hause eingeladen. Noch bevor sie die zweite verbotene Flasche Wein öffnete, hatte sie die Schülerin gefragt: „Hast du schon Erfahrungen mit Männern?"

Holly war bis zu den Zehennägeln errötet, doch aus irgendeinem Grund war es plötzlich ganz egal, dass Pheobe vor ein paar Wochen in ihrem Kopf noch eine Art... Lehrerin gewesen war. Vielmehr war sie jetzt, während sie gemeinsam auf dem Sofa saßen und Popcorn und verbotenen Wein tranken, eine Freundin. „Naja, es gab da Stevie."

„Stevie?", fragte die ältere Frau und reichte ihr ein Glas. Ihre hübschen Hände waren perfekt manikürt und Holly fragte sich unwillkürlich wie es wäre, von diesen blutrot lackierten Fingern berührt zu werden. „Ein Mitschüler?"

Langsam trank Holly einen kleinen Schluck, versuchte den Gedanken von diesen hübschen, schmalen Fingern abzulenken und zwang sich plötzlich nicht das Gesicht zu verziehen; der erste Wein war viel süßer und besser gewesen. „Nein, er arbeitet während des Sommers in der Eisdiele. Er ist schon auf dem College." Der zweite Schluck Wein war bedeutend besser. „Dort hab ich ihn auch kennengelernt. Bei der Eisdiele, meine ich, nicht auf dem College." Sie kicherte.

Pheobes hübscher, voller Mund verzog sich ebenfalls zu einem wunderschönen Lächeln. „Seid ihr miteinander ausgegangen?"

Holly schüttelte den Kopf und leckte sich unbewusst über ihre eigenen Lippen. „Nicht wirklich. Er hat mich zwei Mal mit zum See mitgenommen. Das letzte Mal in seinem Auto."

Pheobe lachte tief. Holly liebte dieses Lachen. Es hatte so etwas Damenhaftes, Erwachsenes, Volles an sich. Ganz anders als ihr eigenes stupides Gekicher.

„Nicht sehr gemütlich, kann ich mir vorstellen", raunte Pheobe leise und schenkte sich selbst etwas Wein nach. Ihre adrette Jacke fiel vorn ein Stück auseinander und gab den Blick auf eine schmale, feste Rundung ihrer nackten Brust frei. Das helle, sahnige Fleisch dieser Rundung war kaum zu erahnen, doch selbst dieses Bisschen hinterließ eine seltsame Unruhe in Holly. „Du hast doch mit ihm geschlafen?", fügte Pheobe hinzu und richtete sich wieder auf.

Holly hob schnell den Blick, versuchte ebenso mondän zu lachen und verstummte dann. Bei ihr klang selbst das albern. „Ja. War nicht so der Hit", gab sie leise zu. Es kam ihr falsch vor, vor Pheobe mit ihrer mangelhaften Erfahrung anzugeben, wie sie es ab und an bei Übernachtungspartys bei ihren Freundinnen gemacht hatte. „Es tat schweineweh und es war schnell vorbei."

Pheobe nickte langsam und berührte wie zufällig und irgendwie eben nicht tröstend ihren Oberschenkel, bevor sie ihr tief in die Augen sah. Holly war sich nicht sicher, woher plötzlich diese Spannung kam, doch sie war eindeutig da. Eine unausgesprochene Spannung, die sich von jedem einzelnen Blick, den sie heute tauschten, genährt wurde. Ihre Augen sanken ineinander und Holly meinte kleine Blitze in dem dunkelblauen Tiefen von Pheobes Augen zu sehen. Zwischen ihren Schenkeln begann ein seltsames... Blühen. Ein Glühen. Ein... Etwas.

„Hast du dir schon einmal vorgestellt, wie es mit einer Frau wäre?"

Holly war wie hypnotisiert, denn sie erwischte sich dabei, wie sie langsam nickte, bevor sie es verhindern konnte. Wieder rötete schamhafte Hitze ihr Gesicht und sie senkte den Blick.

Pheobe fasste leicht nach ihrem Kinn und hob es an. „Sieh nicht weg. Das muss dir nicht peinlich sein."

Doch, irgendwie schon, dachte Holly stumm und sah wieder in diese blauen Tiefen ihrer Augen. Es war deshalb peinlich, weil der Grund für diese lesbischen Gedanken gerade vor ihr saß und sie genau dieses Thema anschnitt. Trotzdem war sie nicht in der Lage, den Blick noch einmal zu senken. Ihre Blicke tauchten tief ineinander und schienen stumme Botschaften auszutauschen.

Pheobe lächelte sie lange an, bevor sie die Spannung brach, indem sie nach ihrem Glas griff und einen Schluck trank. „Ich glaube, Janine ist dir sehr ähnlich."

„Wie?", fragte Holly verwirrt. Janine war die ungekrönte Königin des Cheerleaderteams. Selbst außerhalb des Trainings trug sie zu recht immer kurze Röcke, denn sie konnte es sich erlauben.

Pheobes Blick glitt schmeichelnd über Hollys mangelhafte Figur. Sofort zupfte sie sich das alte T-Shirt von ihrem gerundeten Bäuchlein, das ein bisschen spannte. Doch sie zwang sich, nicht auch noch ihre vollen Brüste vor Pheobes Blick zu verbergen, obwohl sie gern nach dem Weinglas gegriffen hätte und beim Trinken den Arm somit vor ihrer viel zu großen Brust hielt. Pheobes Blick wurde noch intensiver und für einen Moment hatte Holly das Gefühl, als berühre ihr Blick all ihre Konturen. Der Moment dauerte an, bis Pheobe seltsam belegt sagte: „Janine... Sie hat ein Auge auf dich geworfen."

Hollys Augen weiteten sich, dann lachte sie. „Janine? Nie im Leben!" Und selbst wenn... Holly war das vollkommen egal. Janine war immer total nett zu ihr, aber sie hatte einfach aus Prinzip etwas gegen die Schönheitskönigin des letzten Frühlingsballes. Es war die instinktive Abneigung eines Teenagers, die die Unsicherheiten im Bezug auf ihr eigenes Aussehen irgendwie relativieren musste. Janine war wirklich schön und genau deshalb versuchte Holly sich mit aller Gewalt einzureden, dass Janine gemein, garstig und fies war, während sie selbst nett, lieb und klug war. In Wahrheit hatte Janine ihr nie etwas getan. Sie bot ihr sogar regelmäßig an, ihr in Französisch Hilfe zu geben, aber Holly ignorierte das. Es passte eben nicht in ihr Bild. „Janine steht außerdem auf Ronald." Ronald war natürlich der Quaterback des Highschoolfootballteams.

Pheobe lachte. Es war kein Auslachen, sondern eher das Amüsement einer reifen Frau, die wusste, wann ihr Gegenüber wunderbar naiv war. „Glaub mir, Süße, Janine steht auf dich. Und ich glaube, dass du sie auch ein bisschen attraktiv findest."

Holly kicherte, bevor sie nachdrücklich sagte: „Ich glaube nicht, dass Janine auch nur einmal an mich in dieser Weise gedacht hat. Und selbst wenn; es wäre mir vollkommen egal. Ich finde sie nicht attraktiv." Das meinte sie ehrlich. Und es stimmte auch. Janine war einfach eine viel zu hübsche Klassenkameradin für sie. Nie im Leben hätte Holly sie auch nur ansatzweise in ihre Tagträumereien eingebaut. Sie verstand gar nicht, warum Pheobe das überhaupt erwähnte. Verwirrt griff sie nach ihrem Wein und trank einen Schluck.

„An wen hast du dann gedacht, wenn du es dir mit einer Frau vorgestellt hast?"

Holly verschluckte sich am Wein und begann zu husten. Es gab ihr etwas Zeit, um über ihre Antwort nachzudenken. Wäre sie damals nicht so unbedarft gewesen, hätte sie vielleicht die gezielte Fragestellung von Pheobe bemerkt, doch das hatte sie nicht. Heute war Holly um einiges besser darin, Pheobes liebevolle Manipulationen zu durchschauen. Was sie allerdings nicht davon abhielt, ab und an naiv zu tun. Pheobe hatte genau das am liebsten.

Holly stellte ihr Glas ab und wischte sich über den Mund, um ein paar Weintropfen zu trocknen. Sie wusste immer noch nicht, was sie sagen sollte. „An reifere Frauen", murmelte sie leise und kam sich wunderbar geheimnisvoll vor. Sie warf Pheobe unbewusst einen langen, sehnsuchtsvollen Blick zu, der ihr selbst nicht auffiel. „Du weißt schon... Frauen mit Klasse und... Erfahrung." Holly grinste unsicher und griff dann doch wieder nach ihrem Glas, um vorsichtiger zu trinken.

Pheobes Blick glitt langsam von ihrem Körper zu ihren Augen. „War das ein Kompliment?" Phobes tiefblaue Augen glitzerten wieder so ungewöhnlich lebendig. „Für mich?"

Holly erstarrte. Und sie hatte geglaubt, geheimnisvoll zu sein! Röte schoss in ihr Gesicht. „Nein!"

Phoebes Blick verdunkelte sich enttäuscht und sie wandte sich halb ab. „Soll ich noch eine Ladung machen?" Sie wies auf das Popcorn, nahm die halbleere Schüssel und erhob sich.

Hollys Herz zog sich zusammen, als sie fühlte, wie verletzt Pheobe war und griff nach ihrem Unterarm. „Ja", sagte sie leise und nickte. Ihr Blick hielt Pheobes fest und diesmal kam sich Holly das erste Mal vor wie die Frau in dem Duo, die über den weiteren Verlauf des Abends bestimmte. „Und damit meine ich nicht das Popcorn. Es tut mir leid, Pheobe. Ich kam mir so..."

Pheobes Lächeln flammte wieder auf. „In die Ecke gedrängt vor?", vervollständigte sie den Satz. Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. „Ich hätte nicht so unverschämt sein sollen, aber... Holly", sie setzte sich neben sie und hob leicht die Hand, um eine von Hollys Haarsträhnen aus dem Gesicht zu wischen, „diese Spannung fühlst du auch, oder?"

Holly nickte langsam und ihr Blick glitt zu Pheobes vollen Lippen. Bis auf kleine, hauchfeine Fältchen in den Augenwinkeln war der älteren Frau nicht anzusehen, wie alt sie tatsächlich war. „Ich fühle sie."

Ihre Finger verschränkten sich und beide Frauen sahen einen Moment atemlos auf ihre Hände.

„Meinst du...?"

„Glaubst du...?"

Sie lachten, als ihnen klar wurde, worauf sie hinauswollten. Holly atmete langsam durch, von ihrer eigenen entspannten Haltung selbst überrascht. Aber es fühlte sich so gut an. So richtig. Viele Worte mussten nicht zwischen ihnen gesprochen werden und plötzlich wusste die Achtzehnjährige, dass sie es wollte. Sie hatte sich es sich schon vorher vorgestellt, doch nie hatte sie geglaubt, dass diese wunderschöne Frau wirklich genau diese Art von Interesse an ihr hatte. Doch da war es; es hing unausgesprochen in der Luft und ließ Hollys Atem stocken. Lust stand zwischen ihnen und hüllte sie plötzlich mit aller Macht ein. Wie ein unsichtbares Band, das sie zusammen wob.

Holly war selbst überrascht, als sie einfach die Hand aufstreckte, sie um Pheobes Gesicht legte und sich vorbeugte. Pheobe kam der Einladung zögernd nach, doch dann schlossen sich ihre Augen, ihr Mund öffnete sich hauchzart, so wenig, dass Holly es kaum sah. Dann flatterten auch ihre Lider und ihr Herz setzte aus, als sich ihre Lippen das erste Mal trafen.

Holly hatte schon zuvor Frauen geküsst; ihre Großmutter natürlich und ein paar Freundinnen bei Pyjamapartys, wenn sie Flaschendrehen gespielt hatten. Doch selbst Stevies geübte, wunderschöne Küsse, die sie in sein Auto gelockt hatten, waren nicht vergleichbar mit dieser Vollendung.

Pheobes Lippen waren heiße, zärtliche Rosenblätter; unbeschreiblich, unvergleichbar. Sie waren weich, sanft und schön. Deshalb verstand Holly auch gar nicht, wie diese Hitze vollkommen unvermittelt in ihr aufkochen konnte. Gier vernebelte ihre Gedanken; Gier nach ihr, nach Pheobe, nach ihren Rundungen, ihrem Fleisch, ihrem Geschmack. Hollys Griff verstärkte sich und sie öffnete die Lippen.

Doch statt der Einladung nachzukommen, wand sich Pheobe aus ihrer Hand und setzte sich zurück. „Holly..."

Sie erstarrte. „Sag mir bitte nicht, dass das eine schlechte Idee war." Hollys Stimme zitterte vor Angst, gleich eine unüberwindbare Enttäuschung zu erleben.

Pheobes perfekt frisiertes Haar bewegte sich in dunklen Locken auf ihren Schultern, als sie ihre schönen Hände um Hollys legte. „Holly, ich muss dir etwas beichten."

„Oohhkay", gab Holly gedehnt zurück und runzelte die Stirn. Was genau hatte das nun zu bedeuten?

„Ich bin eine Hexe."

Holly dachte noch gar nicht daran zu lachen, als Pheobe auch schon die Hand hob und auf ihrer Handfläche ein Leuchten erschien. Das Leuchten war von einem seltsamen Blau; dasselbe glitzernde, lebendige Blau, das auch Pheobes Augen färbte. Das Leuchten nahm eine einfache Form an und wurde zu einer Art Kugel, die sich immer weiter festigte.

Hollys Augen weiteten sich ungläubig, als sich kleinere Wellen auf der Oberfläche der Kugel bildeten, als sei dies eine... runde Wasserträne. Wie in einer Trance streckte Holly die Hand aus und tippte das Ding an. Ein Wassertropfen blieb an ihrem Zeigefinger hängen und lief über ihren Handrücken, bis er von ihrem Oberteilsaum aufgesogen wurde. „Wow", hauchte sie hingerissen, als Pheobe auch schon die Hand schloss und das Wasser verschwand. Als würde es von ihrer Handfläche aufgesaugt werden.

„Ich kann Wasser manipulieren."

„Oohhkay." Holly starrte immer noch die Hand an, die Pheobe mittlerweile sittsam in ihren Schoß gelegt hatte. Langsam hob sie wieder den Blick und begegnete Pheobes nervös flackernden, blauen Augen.

„Du scheinst nicht geschockt zu sein", sagte Pheobe leise.

„Ich habe mich noch nicht entschieden, was ich denke", gab Holly gedankenverloren zurück. Dann schüttelte sie den Kopf. „Doch, warte. Ich glaube, ich finde das cool."

Pheobes Augenbrauen hoben sich in perfekten Bögen und die hauchfeinen Fältchen in ihren Augenwinkeln wurden sichtbar. „Cool?"

„Abgefahren. Absolut cool", meinte Holly und nickte niemandem bestimmtes zu. „Ja, voll krass." Ihr Herz schlug immer noch vollkommen normal, als sei nichts Ungewöhnliches passiert, aber der rationale Teil ihres Hirns plädierte darauf, dass dies nicht normal sei. Doch dieser Teil wurde von ziemlich vielen anderen Teilen von Hollys Verstand zum Verstummen gebracht. Sie wusste nicht, warum, aber irgendwie war es normal für sie, dass dies gerade geschah. Ihre Finger kribbelten in dem Verlangen, diese Wasserblase noch einmal zu sehen und anzufassen. Es war wie das Verlangen etwas sehr Vertrautes und Schönes anzufassen. Wie diese antike, silberne Haarbürste ihrer Großmutter mit den weichen Borsten; die sie immer daran erinnerte, wie es war, als Großmutter noch in der Lage gewesen war, ihr in langen, sanften Strichen ihr Haar zu kämmen.

Pheobe nahm langsam ihre Hand. „Ich habe dich verzaubert."

Unwillkürlich sah Holly an sich hinunter, doch sie war immer noch aus Fleisch und nicht plötzlich aus Wasser. „Wie? Was?"

Pheobes Blick verdunkelte sich vor Reue. „Ich kann nicht nur Wasser manipulieren. Wir... Es gibt da eine Gruppe von Hexen; wir bringen uns gegenseitig ein paar Tricks bei. Einer davon ist ein... ein... Liebestrank."

Ein Liebestrank? Sie starrte stumm die Frau an.

„Er weckt bestimmte Leidenschaften. Sexuelle Leidenschaften. Für ein paar Stunden." Pheobes Augen wurden trüb und sie senkte den Kopf. „Ich habe dir heute etwas davon gegeben. Aber... Ich kann das nicht. Ich wollte es; ich will immer noch mit dir schlafen, aber... Es tut mir so leid."

Hollys Augen weiteten sich entsetzt und ihr Herz setzte für einen Moment aus. „Du hast mich...! Das", ihre Finger zeigten auf sich selbst, „ist nicht wahr?" Sie griff sich an die Brust. „Diese Lust ist nur ein Zauber?" Sie schüttelte den Kopf. Nein, das stimmte nicht. Sie hatte schon vorher für Pheobe diese Gefühle gehabt; vielleicht hatte der Trank die Grenzen verwischt, zwischen dem, was sie sich erträumt hatte und was sie nun um jeden Preis wollte. Brauchte. Haben musste.

Aber sie war immer da gewesen; diese Versuchung. Sie hatte von sich aus davon geträumt, wie es wäre mit dieser schönen Frau, wenn sie sich gestreichelt hatte. Und sie glaubte Pheobe, wenn sie sagte, dass sie nur heute etwas in ihr Getränk geschüttet hatte. Vielleicht sollte sie wütend sein, weil sie so manipuliert werden sollte; von Drogen betäubt, aber das fühlte sie nicht. Weil Pheobe nun ehrlich war. Weil sie es offensichtlich bereute. Weil sie ihr niemals schaden wollte. Ehrlichkeit wäre vielleicht besser gewesen, doch Holly war sich nicht sicher, ob sie nicht bei der ersten Andeutung von Pheobe einfach weggerannt wäre. Eine Frau zu küssen, sie zu berühren... Auf diese ganz bestimmte Weise. Das war schließlich nicht das, was Frauen normalerweise taten. Gott, ihr Vater würde durchdrehen, von ihren Freundinnen gar nicht erst zu reden. Oder von ihren Mitschülern. Sie hörte plötzlich schon die Beschimpfungen.

Der Trank hatte ihr einfach nur geholfen, diese Dinge zu vergessen und einfach nur zu fühlen. Und es fühlte sich gut an, richtig. Perfekt. So, wie es sein sollte. „Der Trank war vollkommen überflüssig", sagte Holly schließlich. Ihr Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals. „Ich wollte dich schon vorher."

Pheobe rang immer noch mit sich. „Ich glaube... Wenn es morgen vorbei ist, dann wirst du wütend auf mich sein."

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