Category: Nicht menschlich Geschichten

Der Vampir Ch. 04

by MagnoliaS©

„Jedes Ding wird mit mehr Genuss gejagt als genossen.“
William Shakespeare (1564-1616)

*

+Susan+

Mein Körper schüttelt sich wie im Fieber, während Schmerzen mein ganzes Sein durchfluten. Der Schmerz ist trotz Fieber und Hitze kälter als Eis. Das Brennen in all meinen Muskeln ist nicht auszuhalten. Immer höher kriecht der eisige Schmerz. Langsam von meinen Fußsohlen dringt er in meine Haut ein. Viel schlimmer als die Kälte des Schnees unter meinen abgefaulten, verfrorenen Zehen noch vor Stunden, Tagen, Wochen. Wie lange ist es her? Ich habe das Gefühl, dieser Schmerz herrscht schon Jahrhunderte in meinem Körper. Alles zieht sich zusammen in mir und krampft. Es schmerzt. Es tut so weh.

Die Bissstelle an meinem Hals ist nicht taub, sie prickelt wie geschmolzenes Eisen, das langsam unter enormen Druck in eine falsche Form gepresst wird und dann aushärtet. Es härtet aus, weil es so kalt ist. Langsam kriechen die Qualen meine Füße hinauf und brennen sich in meine Unterschenkel. Wenn ich mich bewegen könnte und aufstehen, weiß ich, dass dann meine Beine wie schwarze, gefrorene Stümpfe auf dem Bett liegen bleiben würden. Abgefault, verbrannt. Die fürchterliche Höllenpein windet sich durch die Eisenadern meines Körpers, erreicht langsam meinen Schoß und erfüllt mich so tief und heftig mit Schmerzen, dass ich schreien will. Dass ich sterben will. Doch mein krampfender Körper kommt nicht zu Ruhe.

Ich kann nicht sterben, nicht atmen, nicht schreien, während sich die ätzende Säure durch meinen Körper rast und mich von Innen her aushöhlt. Ich kämpfe mit dem Gefühl, von einer Horde Ratten von Innen aufgefressen zu werden, jeder kleine Biss der Nagetiere spüre ich in meinem Rückgrad. Meine Knochen knacken, als sie nacheinander brechen. Das Geräusch, als Knochensplitter sich durch mein Fleisch malmen, höre ich klar und deutlich, auch wenn ich mich nicht bewegen kann. Der scheußliche Geschmack von Vampirblut brennt unter meinem Zahnfleisch und zerfrisst meine Zähne, als seien sie nur ein paar Stücke Zucker in der dreckigen Themse Londons.

Meine Lunge bricht zusammen, ich fühle wie mein Brustkorb zusammenfällt. Neues Knochengematsche. Eiseskälte ätzt sich langsam zu meinem Bauch und zerfrisst wie scharfe Säure meine Därme. Alles schmerzt, dennoch ist mein Kopf klar. Glasklar, bei vollem Bewusstsein höhlt mich das Vampirgift von Innen aus. Frisst sich unter meiner Haut durch meine Organe wie ein Borkenkäfer durch einen Baumstamm. Als mein Herz von der Qual erreicht wird, zerplatzt es wie eine lästige Fliege. Eiter und Blut quellen in mir aus den Wunden, als dieses Organ zerfetzt wird. Meine Augen starren blicklos ins Leere, während ich bei klarem Verstand fühle, wie auch meine Kehle wie von einer fremden Hand zusammengequetscht wird und die herbe, scharfe, gallige Eisflüssigkeit langsam meinen Kiefer erreicht und zwischen meinen zahnlosen Zahnstümpfen einen Weg zu meinen Augen findet.

Der Schmerzt beißt so untermittelt zu, dass ich wieder schreien will. Ich will sterben, dem Schmerz entrinnen, doch… Nichts passiert. Gar nichts. Ich will sterben. Ich will sterben. Sterben. Bitte, es muss aufhören!

Mein Hirn schmilzt unter dem Angriff und ich spüre, wie meine Sinne langsam schwinden. Einen Moment will ich Weinen vor Dankbarkeit, als die Schmerzen abflauen, als alles zu einem unerträglichen Pochen abklingt, bevor ich realisiere, dass sich mein gefrorener, eisiger Körper plötzlich mit Hitze füllt. Trockene Hitze füllt meinen Körper, brennt ihn völlig aus, als verbrenne ich am lebendigen Leibe. Gerade, als ich noch das selige Gefühl habe, ich sterbe und kann diesen Qualen entkommen, brennen die Flammen in meinem Inneren noch höher.

Weiß blitzt es über meinen Augen auf, die geschmolzen in meinen Augenhöhlen ruhen. Das Licht tobt peinigend in meinem Blick, doch ich starre weiterhin in diesen neuen Quell des Schmerzes. Dieser Schmerz ist anders, als die Qual in meinem Körper, die pulsierend immer höhere Wellen schlägt. Der Schmerz des Lichts ist konstant, unerträglich aber konstant. Ich klammere mich an diesem Licht fest, um meinem Körper zu entfliehen. Das Licht kommt langsam näher, dringt qualvoll in meine Nerven ein und lässt die verkümmern. Ich halte weiterhin an diesem furchtbaren Leid fest und endlich erreicht mich das Licht.

Dann sehe kein Licht mehr. Ich sehe nur noch Dunkelheit. Ja, ich sterbe. Endlich.

Der Schmerz flaut ab. Licht sammelt sich irgendwo vor mir, während ich wie von Geisterhand gezogen durch die Dunkelheit rausche. Endlich mischen sich Farben zu dem weißen Licht. Blau, Purpur, Gelb, Grün. Es fließt um mich herum und bildet langsam Formen. Unscharfe Konturen verwischen, bilden sich neu. Licht zerschmilzt, wird zu vereinzelten Schatten. Der Boden unter mir füllt sich mit dunklem Braun. Die Luft um mich färbt sich grau. Und im selben Moment erkenne ich einen Raum um mich herum. Es ist ein Schlafzimmer. Ein schwerer, dunkler Kamin bedeckt eine ganze Wand, auf dem Boden vor dem Feuer wird ein weißes Bärenfell flackernd erleuchtet. Zwei Körper winden sich leicht darauf, Keuchen erfüllt den Raum. Ich betrachte es mit einer gewissen Distanziertheit. Doch sie ist anders, als ich mit dem Vampir die drei Sklaven habe beobachten können. Ich fühle keine Lust, keine Leidenschaft, keine Liebe. Ich fühle eine Art Neugier, nicht mehr.

Das Pärchen bäumt sich nahezu zeitgleich auf, bevor der Mann auf der Frau zusammenbricht. Einen Moment ist es völlig still im Raum, bis auf ihre schweren Atemzüge. Dann windet sich die Frau unruhig unter ihm, bis er sich stöhnend zur Seite rollt und sie auf seine Brust zieht. „Ich liebe dich“, sagt er so feierlich, dass mir einen Moment der Atem stockt. Ich sehe, wie sich ein glückseliges Lächeln auf die Lippen der Frau zaubert. Sie richtet sich leicht auf und küsst seinen Mundwinkel. Kein Wort ist nötig, um ihre liebevollen Gefühle zu beschreiben.

Seine Hand gleitet langsam über ihre Hüfte, als sie ihren Kopf wieder an seinem Brustmuskel bettet und leise seufzt. Über ihre Haare hinweg starrt er in die Flammen im Kamin, bis sich sein Atem völlig beruhigt. Seine Hand zeichnet willkürliche Muster auf ihren Hintern und legt sich schließlich auf ihre Taille. Seine Finger strecken sich aus, zeigen wie zufällig auf ihren Bauchnabel und das erste Mal fällt mir auf, dass ihr Bauch voll gerundet ist. Ein Strahlen erhellt seine Züge, bevor sein Blick in sich zusammenfällt und seine Augen blicklos ins Leere starren.

Als fühle sie die Veränderung, legt sie ihre Hände direkt unter seine Finger auf ihren hochschwangeren Bauch, dann nimmt sie seine Hand und drückt sie. „Sie werden uns jagen“, flüstert sie leise, als könne die Lautstärke einen Unterschied machen. Sein gequälter Gesichtsausdruck lässt mich unwillkürlich vor Mitleid schaudern.

„Und sie werden uns finden“, fährt die Frau fort. „Das weißt du. Es ist sinnlos, wenn wir uns jetzt schon quälen.“

„Es tut mir so leid“, wispert er, ohne sie anzusehen.

„Was tut dir leid?“ Die Frau richtet sich auf und starrt auf den Mann nieder. „Dass du mich kennengelernt hast? Dass du mich liebst?“, fragt sie plötzlich wütend. „Wenn du all das bereust, kann ich auch gehen!“

„Nein!“, keucht der Mann und schließt einen Moment die Augen. Blind streckt er seine Finger nach ihr aus. „Das tut mir nicht leid.“ Er schlägt seine Augen auf und starrt sie gequält an. „Das weißt du auch. Niemals könnte ich das bereuen. Niemals wird es mir leidtun, dass ich alles für dich aufgegeben habe.“ Er atmet tief durch und zieht sie langsam zu sich. „Ich liebe dich. Du hast Licht in meine Dunkelheit gebracht. Du bist mehr, als ich verdiene. Doch“, die Stimme des Mannes bricht bei dem plötzlichen Schmerz, „tut es mir leid, dass du all das durch machen musst. Hätte ich dich niemals kennengelernt, würdest du ohne all das Leid leben. Es tut mir leid für dich, dass du bald allein sein wirst.“

„Mir nicht“, sagt sie fest und legt sich zurück zu seinem harten Körper auf dem Bärenfell. „Mir tut kein Moment leid. Kein Moment mit dir. Kein Moment der Zukunft.“ Sie küsst seinen Hals und vergräbt dann ihre Nase an seiner Brust. „Und bitte, schmälere unser jetziges Glück nicht, indem du über die Zukunft nachdenkst. Wir wissen, was passiert. Ich weiß, wie schwer die Zeit danach sein wird. Doch ich werde nicht zulassen, dass es mich jetzt schon auffrisst.“

Der Mann verzieht das Gesicht. „Ich will dich nicht allein lassen.“

„Und ich will nicht, dass du stirbst“, erklärt sie leise. „Und doch wird es so kommen. Ich werde es schon schaffen. Ich werde für unser Kind sorgen und es beschützen. Und eines Tages werden wir wieder vereint sein. Vielleicht nicht in dieser Welt und vielleicht nicht gleich sofort. Doch eines Tages…“

Er streichelt leicht über ihren Bauch und verfolgt mit den Augen seine eigenen sanften Berührungen. „Ist es das wert?“

„Dieses Kind ist die Zukunft, Liebster. Es ist mehr wert, als unser Leben. Es wird die Welt retten und endlich diesen Wahnsinn stoppen. Es wird da erfolgreich sein, wo du nur versagen konntest.“

Er grinst leicht. „Charmant, Darling.“

Sie knufft ihn in die Seite. „Du weißt, wovon ich rede. Egal, was du getan hast, sie werden die Veränderungen nicht akzeptieren. Du warst ihr König, ihr Oberhaupt und sie haben dich lieber verstoßen, als sich deinen Warnungen zu beugen. Sie werden nicht nachgeben, bis sie nicht gezwungen werden. Das weißt du. Wir werden viele retten, wenn wir uns opfern.“ Sie lächelte plötzlich. „Und jetzt lass uns nicht mehr davon reden. Lass uns den Moment genießen.“

Der Mann lächelt ebenfalls. „Ich werde dich immer lieben.“

„Und ich werde dich ewig suchen, wenn du nicht mehr bist.“

Die Stimmen verklingen und einen Moment habe ich das Gefühl in meinen schmerzenden Körper zurückgezogen zu werden. Doch dann klärt sich das Bild wieder und ich sehe Männer. Viele, hunderte. Sie stürmten mit Fackeln auf ein Haus zu. Ihre Gesichter zerfressen von Hass und Wut. Immer mehr Männer stürmen auf die große Rasenfläche vor dem Haus und fletschen aggressiv ihre spitzen Zähne.

„Stirb, Verräter!“, brüllt einer von ihnen und wirf die erste Fackel.

Ich drehe leicht den Blick von der plötzlichen Helligkeit weg und mir fällt eine Frau auf. Sie steht direkt neben mir in der Dunkelheit zwischen alten Bäumen und beobachtet mit tränenden Augen, wie die ersten Fackeln die Fenster zerschlagen und im Inneren die Vorhänge in Brand setzen. Fasziniert sehe ich die Frau an, die ich schon aus meiner ersten Version kenne. Sie sieht aus wie ich. Vielleicht einige Jahre älter, doch sonst habe ich das Gefühl in einen unheimlichen Spiegel zu sehen.

Ein unangenehmes Gefühl überkommt mich. Auch im Schlafzimmer vor dem Kamin hatte ich die Ähnlichkeit bemerkt, doch durch das schlechte Licht, hatte ich den Gedanken gleich verworfen. Während das Feuer immer höhere Flammen schlägt, betrachte ich ihr schönes, älteres Gesicht. Vielleicht fünf Jahre liegen zwischen uns, nicht mehr. Tränen glänzen im roten Licht auf ihren Wangen, während ihr Blick starr auf dem Haus liegt. Ihre Lippen zittern leicht, als sie nach Luft schnappt. Im selben Moment presst sie ein Bündel näher an ihre Brust und schließt die Augen. Als sie ihren Blick wieder hebt, sehe ich auf den Rasen, wie sich ein Tumult zwischen den Männern, zwischen den Vampiren erhebt. Jemand wird aus dem Haus geschleift, das die Flammen langsam zwischen ihren glühenden Zähnen zerfressen.

Die Frau neben mir verkrampft sich, als dieser Jemand in den Dreck gestoßen wird. Er wehrt sich nicht, als die Vampire auf seinen Körper einschlagen. Immer wieder höre ich Knochen brechen, höre seine verhallenden Schreie, sein Gurgeln, bevor er blutigen Schleim spuckt.

„Haltet ein!“, ruft plötzlich eine weibliche Stimme.

Die Vampire verharren augenblicklich und ziehen ihr Opfer an den Haaren, bis er keuchend im Dreck kniet. Seine Hände sind verbunden und seine Schienbeine scheinen mehrfach gebrochen zu sein, da sie sich in viele Richtungen knicken. Mir wird übel, als ich den Mann aus dem Schlafzimmer erkenne. Ich werfe einen Blick auf die Frau in der Dunkelheit neben mir. Ihr Gesicht ist bleich und ihre Lippen völlig blutlos. Dennoch hält sie liebevoll das Bündel an ihrer Brust und wiegt es langsam hin und her.

Die weibliche Stimme erhebt sich erneut und ich sehe auf das Schlachtfeld zurück. „Wo ist das Kind?“, faucht sie ihr Opfer an, das vor ihr im Dreck kniet. „Wo ist es?“

Der Mann hebt sein zerschlagenes Kinn. Statt einer Antwort zeigt er ein triumphierendes Lächeln. Blut quillt zwischen seinen restlichen Zähnen hindurch und tropft dickflüssig auf seine Brust.

Die Vampirin, die gerade gesprochen hat, dreht sich leicht zu ihrem Begleiter. Ihre pechschwarzen Haare peitschen bei der schnellen Bewegung durch die Luft. „Bring ihn zum Reden.“

Als sich ihr Begleiter langsam aus der fletschenden Menge löst, wende ich den Blick ab. Schreie gellen über das Feld, immer neue Schreie. Ich sehe die Frau an, die zitternd das Bündel liebkost. Ihr Blick ist weiterhin auf die Folterer gerichtet, die ihren Geliebten langsam auseinandernehmen. Ich höre es; höre, wie Gelenke knirschen, wie Blut dickflüssig aus Wunden spritzt, wie Sehnen reißen. Ich weine plötzlich, merke ich. Ein bisschen distanziert bemerke ich die plötzliche Feuchtigkeit auf meinen Wangen. Ich bemerke den gequälten Gesichtsausdruck der Frau; sehe auch, dass sie ihre Lippen zu einem wortlosen Schrei öffnet. Wieder ein gellender Schrei. Schauer überlaufen meine Haut und mein Magen zieht sich vor Wut und Trauer zusammen. Ich schmecke Blut auf meinen Lippen, diesmal ist es mein eigenes. Ich beiße meine Lippen blutig, um die Vampire nicht auf uns aufmerksam zu machen. Die Schreie verklingen langsam. Die Befehle der Vampirin werden leiser. Sie verschwimmen, überlagern sich, als verstreiche viel Zeit in wenigen Sekunden. Ich fixiere das Gesicht der Frau, während die Zeit verrinnt und das Feuer langsam das Haus in Asche verwandelt. Dann werden die Laute wieder klar, eindeutiger. Ich höre ein keuchendes Röcheln.

„Das war alles nur Ablenkung!“, brüllt die Vampirin aufgebracht plötzlich. „Er weiß gar nicht, wo das Kind ist! Er hat nur mit uns gespielt, damit sie Zeit hat, um zu verschwinden!“

Der Mann zu ihren Füßen ist kaum mehr als ein knochiger Klumpen blutigen Fleisches. Dennoch röchelt ein Lachen über seine Lippen.

Die Vampirin lehnt sich zu ihm. „So ist es doch, nicht wahr?“, fragt sie trügerisch sanft. „In Wahrheit hast du keine Ahnung, wo sie ist, oder?“

Der Mann lächelt blutig.

„Dann ist es ja gut, dass ich vorgesorgt habe und meine Wachen die Länder hier durchstreifen. Wir werden deine Frau und dein geliebtes Kind finden“, lacht die Frau höhnisch.

Das Lächeln des Mannes endet abrupt. Sein zerschlagenes Gesicht wird plötzlich von Panik und Angst überschattet. Dennoch macht er keinen Laut.

„Ja, wahrscheinlich hat mein Bruder sie bereits gefunden. Und dieses ganze Gemetzel war völlig sinnlos. Du hast umsonst den Märtyrer gespielt, damit deine Geliebte verschwinden kann. Du hast dich umsonst auf einem silbernen Tablett serviert, als du dieses Haus betreten hast. Dummer Junge…“ Sie lächelt ihn an.

„Eure Hoheit?“, unterbricht ein junger Vampir, der gerade den Schauplatz der Qual erreicht, die Folterin.

„Was?“, faucht sie aufgebracht, weil sie von ihm in ihrer neuen, seelischen Folter gestört wurde.

„Wir haben die Frau und das Kind gefunden. Sie versteckten sich in einem Haus, nicht weit von hier.“

Die Frau nickt lächelnd. Dann dreht sie sich wieder zu dem Mann um. „Völlig umsonst“, wispert sie. Sie erhebt sich in den Stand und zeigt angewidert auf den Mann zu ihren Füßen. „Tötet den Verräter. Wir wissen alles, was wir brauchen.“ Begierig lächelnd tritt die Vampirin zurück und sieht zu, wie ihr Begleiter ein Messer hebt und nach den Haaren des Mannes greift. Er zieht seinen Kopf in den Nacken und durchtrennt dann seine Kehle. Einen Moment schwebt der Kopf des Opfers in der Luft, bevor er einfach in Staub zerfällt. Der Körper ebenfalls. Die Vampirin beendet ihr Lächeln und Enttäuschung färbt ihre Mimik. Sie wendet sich an ihren Begleiter und scheucht mit einem einzigen Fingerzeig die Vampire in alle Himmelsrichtungen. „Es ist vorbei“, sagt sie schließlich zu ihrem Begleiter, der als einziges noch auf dem Feld steht. Immer noch klingt sie enttäuscht. „Einfach so. Dreihundert Jahre lang haben wir unter seiner Herrschaft gelitten und sein Tod… wir hätten ihn noch einen Monat leben lassen sollen, um uns an seinem Leid zu erfreuen. Wir hätten seine Geliebte vor seinen Augen foltern sollen. Wir hätten ihn noch mehr quälen sollen.“

Der Begleiter nickt. „Ja, aber so ist es auch gut. Wir sind die neuen Herrscher. Wir werden alles ändern. Unter unseren Füßen wird die Welt erzittern.“

Die Vampirin lächelt leicht. „Ja, aber erst nachdem wir ein paar Jahre unseren Spaß an der Frau und ihrem Kind hatten.“ Ihr wahnsinniger Blick scheint eine blutige Zukunft zu sehen.

Die beiden Monster verschwinden von der Rasenfläche. Die Frau neben mir bleibt einfach stehen, während die Sonne aufgeht und ihr Gesicht erhellt. Langsam entfaltet sie das kleine Bündel in ihren Armen, das unruhig strampelt. Ein kleines Baby kommt zum Vorschein und schnappt leicht mit dem Mund, wie ein Fisch an der Luft. Die Frau öffnet die vordere Verschnürung ihres Kleides und das kleine Kind nuckelt hungrig an ihrer Brust. Sie wiegt das Kind weiter, während sie leise beginnt zu sprechen: „Mein Sohn, du bist die Zukunft unserer Welt. Du bist der Grundstein. In dir vereinigen sich meine Kräfte und das Vampirblut deines Vaters. Du wirst drei Töchter bekommen. Sie werden lange leben, doch das ist erst der Anfang. Viel Qual wird über unsere Familie kommen, bevor ein Mädchen aus unserer Blutlinie das Licht der Welt erblickt. Sie wird zwei Mal sterben. Doch erst ihr zweites Leben wird die Welt vor diesen Monstern retten. Die Königsfamilie wird fallen und die Version deines Vaters wird leben. Mein Junge, mit dir wird alles beginnen.“ Sie wirft einen letzten Blick auf die rauchenden Reste des Hauses, bevor sie mit dem Kind im Arm langsam zwischen den Bäumen verschwindet. Ihr letzter Blick ist gramerfüllt und dennoch triumphierend.

Ich bleibe allein zurück. Ich stehe dort und versuche zu begreifen, was ich gerade gehört habe. Was ich gesehen habe. Eine seltsame Wahrheit durchströmt mich, als mir klar wird, dass ich gerade den Worten meiner Ahnin gelauscht habe. Ich bin dieses Mädchen. Ich soll die Welt retten. Panik schnürt meine Kehle zu. Ich habe doch gar keine Ahnung von diesen Monstern. Doch irgendwie weiß ich auch, dass nicht alle Monster sind. Einige sind einfach nur Vampire, so gut und schlecht wie ein Mensch. Mit dem Gewissen eines Menschen. Und andere…

Ich betrachte die Reste der verkohlenden Trümmer des Hauses. Andere haben den Tod verdient. Ich höre den aufgebrachten Schrei der vampirischen Königin, die einige Kilometer entfernt erkennt, dass es sich bei der gefundenen Frau und dem Kind um die falschen Menschen handelt. Ich höre ihre Wut bis hierher und lächele.

Das wird nicht das letzte Mal sein, dass meine Blutlinie ihre Pläne zunichte machen wird. Ich weiß noch nicht wie und ich weiß nicht wann, aber ihr Blut wird an meinen Fingern kleben. Eines Tages.

Plötzlich verschwimmen die Bilder vor mir wieder zu einem bunten Klumpen. Das Bild ändert sich erneut, und wieder. Und wieder. Ich sehe hunderte Szenen, als spiele sich das Leben von dreihundert Jahren in einigen Minuten auf. Das Aufblitzen der Gespräche erreicht mein Hirn, doch ich kann sie so schnell nicht verstehen. Ein neues Bild bringt Klarheit, das Licht rauscht. Ein weiteres Rätsel… Langsam beginne ich die Geschichte zusammenzusetzen.

*

Als ich meine Augen aufschlage, ist es Nacht. Ich liege reglos in dem unterkühlten Bett. Die Laken verströmen keine Wärme, doch die eisige Kälte in meinem Inneren hat sich gelegt. Ich fühle mich ein wenig falsch an, erkenne ich irritiert. Als würde ich nicht in mich hineinpassen. Nicht wie bei seinem ersten Biss. Da habe ich bewundernd meinen Körper genossen. Doch jetzt fühle ich nicht nur Schönheit, ich fühle… Stärke. Nicht körperlich, aber tief in meinem Inneren keimen die ersten Stränge einer magischen Macht. Das Erbe meiner Ahnin. Eine Hexe und ein Vampir, vereint in Liebe, getrennt von Hass. Ich bin das schicksalhafte Ergebnis dieser Verbindung. Seufzend nehme ich mein Erbe an und fühle, wie sich knisternd die Magie auf meine Haut legt, wie ein warmer Film aus Macht.

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