Category: Gehirnwäsche Geschichten

Ein Hypnotiseur auf Meisterschaft 01

by McFly©

„Der Wirksamkeit bedarf es weder des Verstehens noch des Glaubens“

Bruno Karlovoitzi, 1910



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Als um 6:30 Uhr der Wecker klingelte, begann für Ulrich Wincker ein ganz normaler Schultag. Dachte er zumindest. Er wusste nicht, dass dieser Tag sein weiteres Leben entscheidend verändern würde. Wahrscheinlich könnte er auch heute rückblickend gar nicht den Tag benennen, an dem alles begann. Doch dieser Tag brachte den Stein ins Rollen.

Nachdem er bei der morgendlichen Lektüre eines Computermagazins seine Frühstücksflocken in sich hineingeschaufelt hatte, den üblichen Protest seiner Mutter ignorierend, war er mit dem Fahrrad zur Schule gefahren. Ulrich Wincker ging auf die Oberstufe des städtischen Gymnasiums. Im Groben und Ganzen fühlte er sich ganz wohl auf der Schule. Er war ein guter Schüler, sehr gut in den Naturwissenschaften, ganz ok in den übrigen Fächern, nur mit Fremdsprachen, insbesondere Französisch, stand er etwas auf dem Kriegsfuß.

Er hatte einige enge Freunde, faste eine kleine Clique, die gemeinsam ins Kino ging oder mal zum Bowling. Seitdem sie allesamt 18 geworden waren und den Führerschein hatten, konnten sie auch mal abends in die nahe Großstadt fahren.

Alles Jungs soweit. Nicht, dass Ulrich Mädchen nicht gemocht hätte. Er fand sie grundsätzlich o.k., manche sogar aufregend, gerade in der Oberstufe gab es doch das eine oder andere optische Highlight. Er war Mädchen gegenüber nur etwas zurückhaltend. Schüchtern wäre zuviel gesagt, hätte man ihn gefragt. Er war sich nur unsicher, worüber man mit ihnen sprechen sollte. Sie interessierten sich weder für Computer, Fantasy Rollenspiele noch Bowling. Und während er sich gerne auch einmal über den Stoff des Chemiekurses oder einen wissenschaftlichen Bericht in der Tageszeitung unterhielt, tauschten die Mädels sich darüber aus, ob der Kleidungsstill des Chemielehrers langweilig war oder schon wieder Stil hatte.

An diesem Tag hatte er Mathe, Musik, zwei Stunden Englisch, eine Stunde Französisch und zum Abschluss eine Stunde Sozialkunde. Drei Stunden Fremdsprachen hintereinander. Er hasste dass! Dann rief ihn auch noch die Französischlehrerin auf, einen Absatz aus dem französischen Bestseller zusammenzufassen, den sie zurzeit durchnahmen. Mühsam stotterte er sich einen ab. Peinlich! Er war froh, als er das hinter sich gebracht hatte. Da empfand er die Sozialkundestunde schon als Belohnung. Die war meistens entspannt und recht interessant.

Ihr Lehrer war neu an der Schule und noch sehr motiviert. Er hatte angekündigt, über das Schuljahr die verschiedenen Bereiche des sozialen Netzes in Deutschland zu beleuchten. An diesem Tag nahm er das Gesundheitswesen ins Korn. Und hatte jedem Schüler per Zufall ein Referatsthema zugeordnet. Gesetzliche und private Krankenkassen, Versicherungen, Medizinische Themen, alternative Heilmethoden. Ulrich sollte über Hypnose referieren. Klang doch ganz interessant, auch wenn es wieder ein Haufen Arbeit bedeutete.

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Am gleichen Tag hatte sich Ulrich in der Stadtbibliothek umgesehen, ob er da interessantes zum Thema Hypnose fand. Er stellte schnell fest, dass sein Problem eher darin bestand, aus der Fülle der Informationen etwas heraus zu wählen. Er las über die Anwendung von Hypnose in der Behandlung von Angstneurosen, Traumata und in der Kriminalistik. Das letzte fand er besonders interessant. Konnten Zeugen unter Hypnose sich an Ereignisse und Details erinnern, an die sie sich im Wachzustand nicht erinnern konnten? An lang zurück liegende Geschehnisse? An Erlebnisse aus frühen Kindheitstagen?

Auch gab es in den Texten Andeutungen, dass Geheimdienste Hypnose in Verhören verwendeten. Konnte man jemand unter Hypnose Geheimnisse entlocken, die derselbe Mensch wach nie verraten würde?

In den medizinischen Texten wurde mehrfach betont, dass man Menschen unter Hypnose nicht dazu veranlassen könne, Dinge zu tun, die sie nicht tun wollen. Ulrich war sich nicht sicher. Ging das nicht oder sollte man es nur nicht? Darüber musste er auf dem Weg nach Hause nachdenken.

Nach dem Abendessen ging er ins Internet und direkt auf Google. Er gab Hypnose ein. 1.160.000 Ergebnisse! Puh, da konnte er Jahre lesen. Er verfeinerte seine Suche. Und fand einige interessante Texte zu dem Thema der Beeinflussbarkeit. Es schien wirklich so zu sein, dass man einen friedliebenden Menschen nicht zum Mörder machen konnte. Ein Text verwies darauf, dass der Autor nicht auschliessen mochte, dass eine Beeinflussung gegen die eigene Neigung bei kleinen Dingen möglich sei, wie Aufführungen von Showhypnotiseuren in Varietees und Theatern zeigen würden.

Showhypnotiseure! Noch 105 Ergebnisse. Mit Spannung las Ulrich weiter. Auch hier waren sich Experten einig – Menschen konnten nicht gegen ihren Willen hypnotisiert werden und taten unter Hypnose nichts, was ihrer Moral oder ihrem Willen widersprach. Ulrich fand aber auch einige spannende Querverweise. Seiten, die von spektakulären Auftritten berichteten. Menschen, die mit ihrem Körper zwischen Stühlen Brücken bildeten, über die ein Hypnotiseur lief. Oder Menschen, die vermeintlich Angst vor Schlangen hatten und dann in ein Pool voller giftiger Schlangen stiegen. Ein Video zeigte einen hypnotisierten Mann, der ohne jegliches Zögern lebende Käfer und Würmer ass. Das schien den Expertenmeinungen eher zu widersprechen.

Dann fand Ulrich einen interessanten amerikanischen Artikel. Der befasste sich genau mit der Frage, ob Hypnosen in Shows und Theatern Lug und Trug waren, oder doch vereinzelt die Grenzen der Wissenschaft sprengten. Leider kam der Autor nicht zu einer definitiven Antwort. Er verwies nur mehrfach auf einen ungarischen Meister der Hypnose, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Österreich und Deutschland zu Ruhm gekommen war und mehrfach sich dem Test gestellt hätte, ausgewählte Personen zu Dingen zu veranlassen, die sie sich zuvor geweigert hatten, durchzuführen. Großes Aufsehen hatte erregt, dass er einen Offizier der königlichen Garde Österreichs gebeten hatte, einen jungen Soldaten zu küssen. Der Offizier hatte vehement protestiert, er würde eher sterben, als einen Mann zu küssen. Der Ungar hatte ihn dann vor den Augen von 50 Zeugen hypnotisiert und nur Minuten später hätte der Offizier sich gerade zu auf den Soldaten gestürzt und ihn vor Augen aller Anwesenden leidenschaftlich geküsst.

Wow. Das musste für den Offizier hart gewesen sein. Homosexualität war ja heute noch ein heißes Thema, aber gegen Ende des 19. Jahrhunderts?! Wie hatte er wohl auf dieses Experiment reagiert? Darüber stand nichts in dem Artikel. Bruno Karpovoitzi. So hieß der Hypnotiseur. Ulrich gab den Namen in Google ein. Nichts. Schade. Er versuchte es mit noch ein, zwei Suchmaschinen. Auch nichts. Dann nahm er nur Karpovoitzi. Auch kein Erfolg. Er kombinierte Hypnose mit Bruno. Zu viele Dokumente. Hypnose mit Karpo. Auch.

Als er schon aufgeben wollte, wurde ein Artikel angezeigt, den er schon gelesen hatte. Hatte dort etwas über diesen rätselhaften Mann gestanden? Er überflog die Seite. An einer Stelle wurde auf einen berühmten ungarischen Hypnotiseur namens Karlovoitzi verwiesen. L statt P!

Ulrich hatte der Forscherehrgeiz gepackt. Den ganzen Abend surfte er auf der Suche nach dem Ungarn quer durch die ganze Welt. Um 22.00 Uhr hatte er einen Hinweis auf ein Buch des Mannes entdeckt – in Deutsch geschrieben! Nun, damals war Deutsch eine sehr wichtige Sprache gewesen. Aber nirgends konnte er Auszüge aus dem Buch finden, kein Wunder, es war ja auch sehr alt. Dann um 23.57 der Volltreffer. Eine Seite aus Polen, zum Glück in Englisch gestaltet, verkaufte alte Bücher. Und hatte ein Buch von Bruno Karlovoitzi gelistet. 1910. „Der Hypnose wahrer Seele.“

Drei Wochen später brachte die Post ein kleines Päckchen. Sein Referat hatte Ulrich längst geschrieben, das Buch interessierte ihn einfach so. Neugierig packte er es aus. Es war ein dünnes Buch, sehr alt, der Einband war dunkel und speckig, die Seiten fleckig und hier und da verknickt, aber im lesbaren Zustand. Nur, das es in altdeutschen Buchstaben gedruckt war. Man, war das schwer zu lesen. Aber schon die erste Seite fesselte Ulrich. Wie schrieb dieser Bruno:

„Der neuen Richtung Ärzte, wirken sie in Wien oder in Leipzig, attestieren in Einigkeit dem Hypnotisieren nur eine Wirksamkeit im Willen des Patienten. Was den viel gerühmten Gelehrten nicht gewahr sind die Unwägbarkeiten und Tiefen des Willens.“

Boa. Was für ein Satz. Ulrich las ihn noch einmal. Und noch einmal. Und versuchte sich einen Reim darauf zu machen. „Der neuen Richtung.“ Das musste am Ende des 19. Jahrhundert die Psychologie gewesen sein. Klar. Mit Wien war Freud gemeint. Und Leipzig war zu dem Zeitpunkt eine Hochburg der Wissenschaft. „Nur eine Wirksamkeit im Willen des Patienten.“ Ok, der Satz wirkte heute sehr verdreht. Aber er besagte doch dass gleiche, wie die anderen Artikel: Hypnose konnte nichts bewirken, was dem Willen des Patienten widersprach. Aber Karlovoitzi sah einen Widerspruch, eine Lücke: „die Unwägbarkeiten und Tiefen des Willens“.

Die nächsten Tage studierte Ulrich das kleine Büchlein Seite für Seite. Zeile für Zeile. Es war schwer verständlicher Stoff. Die altertümliche Sprache und die altdeutsche Buchstaben machten es ihm noch viel schwerer. Er verstand grob die Struktur des Buches. Karlovoitzi gab einen Abriss, was über Hypnose bekannt war. Und zitierte noch viel ältere Bücher, Griechen und Ägypter. Dann gab es so etwas wie eine Einführung in das Hypnotisieren. Dem folgten viele Abhandlungen über Aspekte der Hypnose. Wie einem Kapitel „Über den Willen.“

Dieses Kapitel nahm sich Ulrich an einem Wochenende vor. Am Ende glaubte er, die wichtigsten Gedanken verstanden zu haben. Karlovoitzi widersprach gar nicht der Aussage, dass ein Mensch unter Hypnose nichts tun würde, was seinem Willen widersprach. Er analysierte und philosophierte aber lang und breit, was unter Willen zu verstehen sei. Und unterschied, zwischen dem tiefen, echten, unverdeckten Willen eines Menschen sowie von der Gesellschaft auferlegten Willen. Sei ein Mensch aus tiefster Überzeugung gegen eine Handlung, würde er diese unter Hypnose verweigern. Habe er aber diese Handlung bisher unterlassen, weil sie in der Gesellschaft verboten oder sanktioniert sei, der Mensch aber gegenüber der Handlung neugierig und interessiert oder offen, konnte man die Schwelle der gesellschaftlichen Sanktion unter Hypnose überschreiten.

Wie Ulrich verstand, lag nach Karlovoitzi nun eine Kunst des Hypnotiseurs darin, zu erkennen, was der „tiefe, echte Wille“ war, und was „auferlegter Wille“. Wenn er das richtig verstand, hatte der österreichische Offizier unter seiner gesellschaftlich eingeordneten Ablehnung „jeglichen Küssens eines Mannes“ doch ein gewisses Interesse gehabt, dass Karlovoitzi dann genutzt oder freigelegt hatte. Faszinierend!

In Ulrich keimte eine Idee. Konnte er lernen, Hypnose anzuwenden? Nicht richtig, er war ein Schüler und kein Arzt oder Psychologe. Nur so ein bisschen. Zum Probieren, ob da etwas dran war. Er blätterte durch das Buch. Das war ihm alles zu hoch. Sollte er noch einmal im Internet suchen, um dort eine einfache Anleitung, quasi „Hypnose für Dummies“ zu finden? Er musste lachen. Ein letztes Mal blätterte er durch das Buch, um es anschließend ins Regal zu legen. Ein Kapitel könnte er ja vielleicht noch lesen. Hier war eins, das ging nur über zwei Seiten. „Der Skepsis zuwider“.

Erfreut las Ulrich, wie Karlovoitzi von einem Treffen mit einem deutschen Physiker schrieb, der Grundweg ablehnte, die Existenz von so etwas wie dem Unterbewusstsein oder Hypnose anzuerkennen. Um seinen Standpunkt zu untermauern, hatte sich der Physiker bereit erklärt, sich einem Test zu stellen. Und wenig später seinen erstaunten Kollegen erläutert, dass zwei plus zwei die Farbe „rot“ ergebe und wenn man von zehn Äpfeln acht esse noch dreizehn Birnen übrig blieben. Was Ulrich mehr erfreute als dieser Schabernack, den der Ungar mit dem Physiker betrieben hatte, war die klare Schilderung der kurzen, aber effektiven Hypnose. Hier hatte Ulrich seine Übungsaufgabe!

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Experiment Nummer 1

Leute dazu zu bewegen, gefährliche Dinge zu tun oder körperlich Außergewöhnliches zu leisten, hätte sich Ulrich nie getraut. Aber jemanden dazu zu bewegen, etwas Blödsinniges nachzureden oder etwas Harmloses zu tun, was ihm sonst nie in den Sinn kam, konnte keinen Schaden. Und das konnte er unauffällig testen. Entweder der Mensch machte es oder eben nicht!

Gut eine weitere Woche widmete sich Ulrich der Recherche, wie man hypnotisiert. Er las, dass es darum ging, Menschen in einen tief entspannten Zustand zu versetzen, der einen Zugang zu tieferen Schichten des Bewusstseins ermöglichte. Häufig geschah dies durch die berühmten Pendel vor den Augen eines Patienten, zu dem der Arzt langsam zählte oder Anweisungen gab.

Und wieder fand er bei Karlovoitzi die interessantesten Hinweise. Pendel und andere offensichtliche Handlungen seien nur für Ungeübte notwendig. Es schien, dass der Ungar eine Art und Weise gefunden hatte, seine Stimme so ruhig und sanft erklingen zu lassen, dass sie sehr beruhigend wirkte und unbemerkt sich an tiefere Schichten des menschlichen Bewusstseins wenden konnte. Dies ermögliche einen Meister der Hypnose, den Menschen ohne dessen Kenntnis zu beeinflussen.

Also gut, dachte Ulrich. Meine Stimme. Ich muss meine Stimme so beherrschen und ausrichten lernen wie Karlovoitzi!

Er verschrieb sich einem Experiment. Jedem Menschen, mit dem er in den nächsten Wochen zu tun hatte, versuchte er, eine ungewöhnliche Aussage oder Handlung einzugeben. Erst war er vorsichtig und stellte Fragen.

„Mama, magst Du eine Cola haben“, an seine Mutter, die Cola verabscheute. Sie lachte auch nur auf und fragte ihn, was er für komische Ideen habe.

In ganz langsamen Ton, mit tiefer Stimme und leise, fragte er seine Schwester, ob sie ihm mal ihr Tagebuch leihen würde. Ihn beschimpfend warf sie ihn aus dem Zimmer.

Mit noch einem tieferen Tonfall fragte er seinen besten Freund Markus, ob der nicht statt Fußball spielen lieber Hausaufgaben machen wolle. Markus lachte auf und griff ihm an die Stirn. „Noch alles klar bei Dir da oben?“

Den Busfahrer fragte er, ob die Fahrt an einem so schönen Freitag umsonst sei. Der schaute ihn irritiert an und kassierte den standardmäßigen Fahrpreis.

Aber Ulrich ließ sich nicht beirren. Es war ihm klar gewesen, dass er nicht über Nacht Erfolge verzeichnen konnte. Er fragte und fragte, immer bemüht, nicht zuviel Aufsehen zu erregen.

Dann bemerkte er einen ersten Unterschied. Einzelne Menschen reagierten gar nicht auf seine Frage. Als hätten sie sie nicht gehört. Er war sich unsicher. Hatte seine Stimme vielleicht doch langsam einen Effekt? Aber warum passierte nichts?

Seine Anweisungen! Er versuchte, durch seine Fragen, die Menschen zu Handlungen zu bewegen. Vielleicht verstanden sie diese nicht. Vielleicht musste er direktere Anweisungen geben? Und war es realistisch, was er erfragte? Oder gegen den Willen der Person?

An einem Donnerstagnachmittag geschah es. Mitten in der Stadt auf dem Marktplatz. Sein erster Erfolg! Er wartete auf den Bus und beobachtete die Menschen. Ein Mann im schicken Anzug kam zur Bushaltestelle und wich in einem größeren Bogen einem Bettler aus, der am Boden saß und vor sich eine Tasse aufgestellt hatte. Der Mann stellte sich direkt vor Ulrich. Aus einer Eingebung heraus sprach Ulrich mit dem geübten Tonfall zu dem Mann. „Sie haben ein schlechtes Gewissen. Ihnen geht es finanziell sehr gut. Dem armen Mann dort nicht. Sie haben Zeit. Sie laden den Mann zum Essen ein.“

Das der Mann sich nicht umdrehte, um Ulrich anzufahren, was er da redete, überraschte Ulrich nicht. Es gelang ihm ja schon seit Tagen, zu den Menschen etwas zu sagen, was diese scheinbar nicht bewusst wahrnahmen. Aber als der Mann sich abwandte, zu dem Bettler ging und mit diesem sprach, raste Ulrichs Puls. Er beobachtete, wie der Bettler überrascht zu dem Mann aufsah. Er stand auf und schüttelte die Hand des Mannes. Mit der Tasse in der Hand folgte er dem Mann. Auf der anderen Seite des Marktplatzes betraten beide eine Gaststätte.

Wow! Das konnte nicht sein?! Es hatte gewirkt! So einen großen Zufall konnte es unmöglich geben!
Ulrichs Gehirn arbeitete. Was hatte er diesmal anders gemacht? Er war locker gewesen. Entspannt. Überzeugt? Überzeugend!

Daheim angekommen, traf er an der Haustür seine Schwester. Sie hatte es eilig und wollte gerade zu einer Freundin aufbrechen.

„Du darfst heute Abend nicht vergessen, Dein Tagebuch weiter zuschreiben. Zur Erinnerung leg es auf Dein Kopfkissen.“

Seine Schwester ging zwei Schritte weiter, blieb stehen und drehte sich um. Sie stürmte an ihm vorbei ins Haus. „Hab was vergessen.“ Eine Minute später war sie wieder draußen.

Da niemand zu Hause war, ging Ulrich zum Zimmer seiner Schwester. Tatsächlich, da auf ihrem Kopfkissen lag ein kleines Büchlein. Neugierig trat er ans Bett. Verschlossen! An dem Buch war ein kleines Vorhängeschloss. So etwas hatte er schon in Geschenkläden gesehen. Seine Schwester misstraute ihm wohl schon länger. Oder seiner Mutter?

Aber sie hatte das Buch herausgelegt. Das hatte er ihr aufgetragen. Es funktionierte!

Am Abend hatte seine Mutter nicht nur „eigentlich schrecklich ungesunde“ Pommes Frites gemacht, sondern auch seinen Lieblingsnachtisch bereitet. Sowohl sein Vater als auch seine Schwester waren überrascht. „Heute ist doch kein Feiertag?“

Seine Mutter wiederum wurde vom Vater überrascht, der am Abend sich mal nicht dem Studium seiner Akten widmete, sondern „spontan“ Lust hatte, mit ihr einen netten Spielfilm zu sehen.

Währenddessen saß Ulrich an seinem Schreibtisch und eröffnete am Computer sein eigenes Tagebuch. „Experiment Nummer 1“ tippte er als Überschrift ein. Mit den Worten „Gelungen!“ schloss er seinen Eintrag ab.


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Experiment Nummer 2

Ulrich war mit den Erfolgen seiner kleinen Einredungen sehr zufrieden. Sein Ehrgeiz war geweckt. In den folgenden Tagen probierte er noch verschiedenes aus und in neunzig Prozent der Fälle führten seine Familienmitglieder, Passanten auf der Straße oder sein bester Freund Markus aus, was er ihnen antrug.

Er dachte schon seit zwei Tagen darüber nach, was der nächste Schritt sein könnte. Er wollte etwas ausprobieren, was weiterging. Eine Handlung, die deutlich höher über der Hemmschwelle einer Person lag, als was er bisher seine Testpersonen hatte ausführen lassen.

Die Idee kam ihm im Schulunterricht. In der dritten hatte er Deutsch. Und in Deutsch saß er immer schräg neben Jenny. Jennifer Herbst. Eines der hübschesten Mädchen seines Jahrgangs, wenn man Ulrich fragte. Markus fand sie „etwas zu rund“, er meinte immer, wenn „die Jenny mal 3 Kilo abnehmen würde, wäre sie die Wucht“. Für Ulrich war sie schon die Wucht, zumal ziemlich offensichtlich war, wo ein Teil der 3 Kilo steckte. Jenny hatte eindeutig die größte Oberweite an der ganzen Schule, auch wenn sie alles tat, diese eher zu verbergen.

Meistens trug sie Pullover oder Westen über eine Bluse. Aber wo so viel ist, kann man das kaum völlig verstecken. Und so zeichneten sich unter Pullovern immer wieder mal ihre Rundungen ab. Wenn sie eine Bluse trug, gab es einen nie ausgesprochenen Wettbewerb unter den Jungs, wer ihr einen Blick in den Ausschnitt werfen konnte. Stefan hatte sie allerdings einmal erwischt, als er unauffällig auffällig vor ihrem Tisch stehen blieb und tat, als ob er etwas vor ihrem Tisch suchen würde. Sie hatte ihn voll angeblufft, ob ihm gleich die Augen ausfallen würden. Mit hochrotem Kopf und unter schallendem Gelächter der halben Klasse, war Stefan schnell nach hinten gegangen.

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