Category: Romane und Kurzromane Geschichten

Geliebter Dämon 06: Großer Bruder

by PhiroEpsilon©

06 Mein großer Bruder

Nach diesem Tag wollte ich nur noch mein Sofa. Beine hochlegen, mir einen seichten Liebesfilm reinziehen und dabei ein Bier trinken. Mir langsam darüber klarwerden, was all diese Veränderungen eigentlich bedeuteten.

Doch, als ich die Tür zu meiner Wohnung aufschloss, war das Licht im Flur an und an der Garderobe hing eine Lederjacke, die ich kannte.

"Peter", rief ich in die Wohnung hinein. "Bist du das?"

"Wer sonst?", kam die belustigte Stimme meines Bruders zurück.

Dann stand er schon an der Tür zum Wohnzimmer und breitete die Arme aus. "Angela", rief er überrascht. "Du siehst gut aus!"

Ich runzelte die Stirn. "Wie genau meinst du das, Bruderherz? Dass ich sonst wie ein Schluck Wasser aussehe?"

"Nein, nein", lachte er. Doch dann wurde er ernst. "Sag nur nicht, du hast dich liften lassen."

Ich machte drei Schritte auf ihn zu und boxte ihm in den Bauch. Das wurde langsam zur Gewohnheit bei mir.

Peter keuchte theatralisch auf. "Ich habe doch nur—"

"Sag. Gar. Nichts", fauchte ich ihn an. Dann nahm ich ihn in die Arme. "Schön, dass du da bist. Ich hatte ein paar anstrengende Tage." Konnte ich ihm mehr verraten? Erstmal nicht, beschloss ich.

"Ich habe Thailändisch mitgebracht", meinte er und wies auf eine Tasche in der Ecke. "Zum Entspannen."

"Du bist großartig, Großer", gab ich zurück und küsste ihn flüchtig auf die Wange. "Geh ins Wohnzimmer, ich hole das Bier."

Ich hätte ihn nicht küssen dürfen, tadelte ich mich auf dem Weg in die Küche. Mein neu erwachter sechster Sinn sagte mir ganz deutlich, dass meine Veränderungen auch bei ihm wirkten.

Ach was, meinte Teufelchen. Es spricht doch nichts gegen ein kleines Nümmerchen mit ihm.

Der eigene Bruder, fauchte Engelchen.

"Stimmt doch gar nicht", murmelte ich vor mich hin. Peter war eigentlich nur mein Cousin. Aber wir waren bei meiner Oma wie Bruder und Schwester aufgewachsen.

Seine Eltern hatten einen Autounfall gehabt, als er zwei war. Ein Jahr später wurde ich geboren, und meine Mutter starb direkt bei meiner Geburt. Meinen Vater habe ich nie kennengelernt; Oma ist meinen Fragen nach ihm immer ausgewichen.

Sie lebte damals schon ein paar Jahre allein, nachdem Opa an einem Herzinfarkt gestorben war. Er war Beamter gewesen, also ging es ihr recht gut. Sie hatte ein Haus, das groß genug war für sie, Peter und mich.

Spätestens in der Schule sprach ich immer von ihm als meinem "großen Bruder", was jegliche Animositäten gegen mich im Kein erstickte. Selbst mit zwölf Jahren sah er schon gut aus.

Ich hatte ein paar Jahre nur gelegentlich von ihm gehört, während er studierte und ich auf der Polizeischule war. Doch in der Zwischenzeit wohnte er nicht weit von hier, war Single, genau wie ich, und schneite gelegentlich unangemeldet herein.

Er war ein Bild von einem Mann, einen halben Kopf größer als ich, trug Lederjacken und T-Shirts und immer einen Hauch von Dreitagebart. Er war liebevoll, hilfsbereit und gut zu Tieren. Ich leckte mir über die Lippen. O Angela, wo soll das schon wieder hinführen?

"Was von Oma gehört?", fragte er aus dem Wohnzimmer, während ich immer noch in der Küche herumtrödelte.

"Letzte Woche haben wir telefoniert", gab ich zurück. "Es geht ihr gut. Sie hat einen neuen Lover."

Peter kicherte. Selbst so etwas konnte seinem Image nichts anhaben.

Oma wohnte in einem traumhaft an einem See gelegenen Seniorenheim und genoss ihren Lebensabend. Jedes Angebot, zu Peter oder mir in die Stadt zu ziehen, hatte sie abgelehnt. Hier hätte sie schließlich auch nicht ihre ständig wechselnden Männerbekanntschaften so einfach mit nach Hause bringen können. Oma war schon eine Marke für sich.

Ich kam zurück ins Wohnzimmer, und da war wieder der Blick. Ich wollte nichts riskieren, also setzte ich mich auf den Sessel, nachdem ich ihm die Bierflasche in die Hand gedrückt hatte, und nicht wie sonst neben ihm auf das Sofa.

"Was ist?", fragte er.

"Habe ich mich wirklich so sehr verändert?", fragte ich zurück. Sein Gehirn schob den Wunsch, sich auf mich zu stürzen, beiseite, um sich mit meiner Frage zu befassen.

Er blickte mir ins Gesicht, auf den Busen und glitt dann langsam immer tiefer. "Nicht so sehr viel", murmelte er. "Aber irgendwie ..."

"Du willst mich", platzte ich heraus. "Im Bett."

Er zuckte zusammen und sein Gesicht verfärbte sich tiefrot. Ja, ja, ja, schrie sein Geist. Will, will, will.

"Wir sind verwandt", fühlte ich mich gezwungen zu bemerken.

"Sind wir nicht", zischte er. "Überhaupt nicht."

Meine Augen wurden groß. "Was?"

"Deine Mutter war nicht die leibliche Schwester von Papa."

"Wie kommst du denn darauf?"

"Oma hat mal vor vielen Jahren in ihren Papieren gewühlt und hat sie dann offen liegen lassen. Ich habe die Adoptionsurkunden gesehen. Meine, deine und die deiner Mutter. Sie war schon zehn Jahre alt, als sie in unsere Familie gekommen ist."

Ich starrte ihn nur an. Wenigstens war seine sexuelle Erregung abgeklungen.

"Ihr Name war auch nicht 'Arielle'. Das Dokument, das ich sah, war in Französisch. Und da stand 'Uriel deCiel'."

"Uriel vom Himmel", murmelte ich fassungslos. Das war der Name eines Engels. Uriel, der Erzengel des Winters. "Sie war ein Engel" hat Oma immer gesagt. Mit dem Namen, kein Wunder. "Uriel, Arielle, was soll's", sagte ich. "Für mich bist du mein Bruder. Also kein Familiensex heute Abend."

Mein Versuch, einen Spaß daraus zu machen, ging gründlich daneben.

"Du hast dich verändert. Ganz gewaltig", stellte Peter fest. "Du siehst anders aus. Und ich hatte vorher noch nie das Bedürfnis, dir die Klamotten vom Leib zu reißen."

Er blickte mich fragend an.

"Ja", gab ich zu, seine Bemerkung über die Klamotten und seine dahinter versteckten Gefühle tunlichst ignorierend. "Es ist etwas geschehen. Ich verändere mich. Ich weiß nicht, wohin das führt, und ich kann dir nichts erzählen. Noch nicht."

Ich holte tief Luft. "Ich glaube, das Beste ist, wenn du jetzt heimfährst. Ich verspreche dir, dass ich dir alles erzähle, sobald ich kann."

Aber das war vielleicht nie.

Es war viel wichtiger, mit Oma Kontakt aufzunehmen und Licht in die Affäre zu bringen. Als Peter weg war, rief ich sie an.

Ihr Telefon ging auf Sprachbox. Das war nicht ungewöhnlich. Wann immer sie einen Mann bei sich hatte, wollte sie nicht gestört werden. "Hallo Oma. Ich bin's. Ich muss dringend etwas mit dir bereden. Ruf mich doch mal zurück. Danke. Tschüss."

Written by: PhiroEpsilon

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