Category: Romanze Geschichten

Das Haus am See

by freudenspender©

Für Franzi, eine ganz besondere und sehr starke junge Frau.

Kapitel 1

Ich bin echt gespannt, was mich erwartet. Ich habe Anschrift ins Navi eingegeben und fahre nun die Uferstraße entlang. Ich müsste bald am Ziel sein. Die Kulisse ist malerisch, ja fast traumhaft. Der Gardasee liegt ruhig da, verwöhnt von der Mittagssonne an diesem herrlichen Frühsommertag. Zwischen der Straße und dem See liegen zahlreiche recht nobel wirkende Villen. Hier sollte es irgendwo sein?

„Du hast Dein Ziel erreicht. Chery!.", teilt mir das Navi mit französischen Akzent mit. Ich habe die Software gehackt und die Stimme ersetzt. Das ist etwas kompliziert, aber machbar. Es gibt ein File mit dem Namen „kleine Französin". Wenn man das installiert hat und die übliche Stimme damit ersetzt, dann klingt das Navi sofort ganz anders. Freundlicher und williger als meine „kleine Französin" kann kein Navi sein und ich liebe sie.

Aber im Augenblick habe ich nicht die Muse, mich über die sexy Freundlichkeit meines Navis zu freuen. Noch dazu, weil sie mich ganz offensichtlich im Stich gelassen hat, meine kleine Französin. Hier ist ja weit und breit nichts. Wie kommt sie also dazu, mir zu sagen, ich hätte mein Ziel erreicht?

Ich suche erst einmal einen Platz anzuhalten. Ich komme mir vor, als sei ich im Niemandsland gelandet, mitten in der Pampa. Weit und breit ist kein Haus zu sehen. Auch eine Einfahrt kann ich nicht finden, zumindest nicht auf den ersten Blick. Wo bin ich nur gelandet?

Ich stelle also mein Auto an einer Stelle am Straßenrand ab, wo es nicht stört, Dann mache ich mich zu Fuß auf den Weg, um in dieser Wildnis einen Hinweis zu finden. Ich konsultiere noch einmal mein Navi und zwar nur die Karte, die ich vergrößere. Dabei finde ich schließlich so etwas Ähnliches, das wie ein Weg aussieht, der ganz in der Nähe von der Straße abzweigen müsste. Da ich im Moment keinen besseren Anhaltspunkt habe, werde ich wohl oder üble dieser Spur nachgehen müssen. Ich mache mich zu Fuß auf die Suche nach diesem Weg.

Nach etwa zweihundert Meter Fußmarsch finde ich dann tatsächlich so etwas wie einen Weg. Es ist eigentlich nur ein schmaler Feldweg, der in Richtung See führt. Ich sehe zwar ein verwittertes Schild, dass es sich um Privatgrund handelt und das Betreten verboten sei, aber ich kümmere mich nicht drum. Ich bin gespannt, ob ich auf diesem etwas verwilderten Weg an mein Ziel komme.

Weit wird es wohl nicht sein, denn der Abstand zwischen der Straße und dem See kann an dieser Stelle nicht größer als zweihundert oder maximal dreihundert Meter sein. Und tatsächlich, schon kurz nach der Abzweigung von der Straße macht der Weg eine Biegung und ich lasse die Büsche und Sträucher hinter mir, die eine wunderschöne Wiese gegen die Straße hin abschirmen.

Was nun vor mir liegt, könnte schöner nicht sein. Zwischen vereinzelten Pinien und Olivenbäumen liegt ein unglaublich romantisch anmutendes Haus, ein wahres Hexenhäuschen. Es muss aus einer längst vergangenen Zeit stammen und regt mich sofort zum Träumen an. Ich habe den Eindruck, es könnte direkt aus einem Märchen entsprungen sein. Links und rechts hat es so etwas ähnliches, wie einen Turm, dazwischen scheint eine große Terrasse zu liegen. Das ganze Haus ist verschnörkelt und verspricht viele verborgene Ecken zu besitzen.

Es wirkt zwischen den Bäumen klein und verspielt. Je näher ich aber komme, umso größer wirkt es. Als ich das Haus erreicht habe, bleibe ich davor stehen und lasse es eine Zeitlang auf mich wirken. Ich habe mich auf Anhieb in dieses Haus verliebt, das ist mir sofort klar.

Schließlich reiße ich mich doch von meinen Träumereien los und gehe auf die Haustür zu. Schreiber steht da, Zoe Schreiber. Ich drücke auf die etwas altmodische Klingel und höre im Inneren des Hauses das Läuten. Doch es rührt sich nichts. Ich warte längere Zeit, kann aber kein Lebenszeichen erkennen. Ich läute also nochmals. Das Ergebnis bleibt allerdings dasselbe.

Ich trete ein paar Schritte zurück und schaue die Fassade empor. Auch jetzt kann ich kein Lebenszeichen ausmachen. Kann es sein, dass dieses Haus unbewohnt ist? Ich habe keine Informationen über mögliche Bewohner. Laut Klingel müsste diese Zoe Schreiber hier wohnen, von der ich nicht weiß, wie alt sie ist, wie sie aussieht oder wer sie ist. Das Namensschild könnte aber auch einfach nur von einer alten Bewohnerin zurückgeblieben sein, die es beim Auszug nicht entfernt hat.

Ich entschließe mich, um das Haus herumzugehen. Und so schlendere ich rechts am Haus vorbei und gelange auf die andere Seite. Vor dem Haus befindet sich eine große Holzterrasse. Sie ist altmodisch, hat aber einen ganz eigenen Charme. Von der Terrasse aus führt eine kleine Wiese hinab zum See, wo ein Bootssteg in den See hineinragt. Erst bei genauem Hinsehen fällt mir auf, das dort eine junge Frau sitzt.

Ihre nackten Füße baumeln vom Steg herab ins Wasser. Sie hat, soweit ich das von meinem Standort aus erkennen kann, ein kurzes Shirt an, das ihren Bauch nicht bedeckt und eine knappe Jeans Short an. Ihr Kopf ist in den Händen verborgen, die Arme sind auf den Knien abgestützten.

Ich gehe auf die zu. Sie bewegt sich auch dann nicht, als ich auf den Steg hinausgehe und sie mich hören müsste. Sie bleibt unbeweglich, so als ob sie mich gar nicht wahrnehmen würde. Kann es sein, dass sie so in sich versunken ist?

„Entschuldigung", versuche ich sie auf mich aufmerksam zu machen. Inzwischen habe ich sie erreicht und stehe direkt neben ihr.

Ganz langsam hebt sie ihren Kopf und wendet mir ihr Gesicht zu. Mich trifft ein Stich ganz, ganz tief im Herzen. Ich schaue in zwei bernsteinfarbene Augen, die ganz rot vom Weinen sind. Sie hat ein unglaublich zartes Gesicht, in dem ich trotz der Tränen und der unglaublich tiefen Traurigkeit die fesselnde Schönheit erkenne, die diesem Gesicht innewohnt.

Sie schenkt mir nur einen kurzen, ausdruckslosen Blick, dann rollen schon wieder die Tränen und sie senkt erneut den Kopf. Diese wenigen Bewegungen und die Stimmung beeindrucken mich zutiefst. Die unglaublich schöne Landschaft und die noch nie gesehene Schönheit dieses Mädchens bilden einen unglaublich krassen Gegensatz zu ihrer abgrundtiefen Trauer.

Ich komme mir vor, als würde ich das Bild eines großen Malers stören, als würde ich Disharmonie in dieses empfindliche Gleichgewicht bringen. Ich habe mich noch nie so fehl am Platz gefühlt, wie in diesem Moment. Ich überlege kurz, ziehe dann kurzentschlossen meine Schuhe aus, stelle sie etwas zu Seite und setze mich neben das Mädchen.

„Was willst du hier?", meint sie aber nur. Wir sind bereits einige Zeit ganz still nebeneinander gesessen. Sie hat wohl versucht, mich zunächst zu ignorieren.

„Ich wollte mir das Haus anschauen, das zur Zwangsversteigerung steht", antworte ich etwas schüchtern.

„Dann kommst du zu spät, die Versteigerung ist schon abgeschlossen", antwortet sie. Die Trauer in ihrer Stimme schnürt mir die Kehle zu.

„Es ist dein Haus?", frage ich vorsichtig.

„Es war mein Haus", kommt nach einer längeren Pause ihre Antwort, der man das große Bedauern über ihren Verlust deutlich anmerkt.

„Und was wird jetzt aus dir?", frage ich vorsichtig.

„Es hängt zwar vom neuen Besitzer ab, aber wahrscheinlich sitze ich auf der Straße", beeindruckt mich ihre klare Sicht der Dinge.

„Also passiert vorerst wohl nichts, solange sich der neue Besitzer nicht bei dir meldet", versuche ich ihren Gedankengang weiter zu spinnen.

Zum ersten Mal hebt sie ihren Kopf uns schaut mich mit einer Mischung aus Überraschung und Unglauben an. Ein trauriges Lächeln huscht über ihr Antlitz. Ihr Blick trifft mich tief in meiner Seele.

„Du bist ein hoffnungsloser Optimist. Fast schon strafbar", antwortet sie zum ersten Mal mit einer Mischung aus Erheiterung und Trauer.

„Die Hoffnung stirbt zuletzt", kontere ich.

Sie lächelt nur und meint dann, „Wie heißt denn du?"

„Ich bin Tom, Thomas Großrubatscher", antworte ich.

„Ich bin Zoe, aber das wusstest du vermutlich schon"

Zum ersten Mal mustert sie mich recht aufmerksam. Zumindest scheint sie mich nicht abstoßend zu finden, denn sie bleibt weiterhin freundlich.

„Das wusste ich, stand an der Haustür", gestehe ich, „Darf ich dich zum Essen einladen?"

„Baggerst du immer wildfremde, obdachlose Frauen an?", antwortet sie mir mit einer Gegenfrage und weicht damit meiner Frage aus.

„Nein, um ehrlich zu sein, ist es das erste Mal, dass ich eine wildfremde und obdachlose Schönheit zum Essen einlade. Irgendwann ist immer das erste Mal" antworte ich.

„Dir ist ernst!", stellt sie sichtlich überrascht fest. „Du willst tatsächlich mit einer Heulsuse Essen gehen."

„Um ehrlich zu sein, hoffe ich die Heulsuse etwas aufzuheitern. Dann wäre auch dieses Problem gelöst."

„Du bist hartnäckig", meint sie durchaus anerkennend.

„Nur dann, wenn es sich auch lohnt", antworte ich ehrlich.

„Na gut, dann gebe ich dem Drängen nach. Der neue Besitzer muss halt noch etwas warten, sollte er heute noch kommen", meint sie. Zoe zuckt dabei mit den Achseln und fordert mich dann auf, „Na, du Faulpelz, dann müssen wir aber aufstehen."

Ich grinse zufrieden, weil ich sie überreden konnte. Ich stehe auf und reiche ihr meine Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Zu meiner Überraschung nimmt sie tatsächlich die Hand und lässt sich helfen, auch wenn sie einen sehr sportlichen Eindruck macht und sicher auch ohne meine Hilfe hätte geschmeidig aufstehen können. Offenbar genießt sie es, dass ich höflich und aufmerksam bin.

Kapitel 2

Wir schlendern gemeinsam über den Steg und dann über die Wiese auf das Haus zu. Wir überqueren die Terrasse und betreten über die offenstehende Terrassentür das Haus. Ich schaue mich vorsichtig um, vermeide jedoch den Eindruck zu erwecken, neugierig zu sein. Auch wenn ich es in Wirklichkeit bin.

Das Haus hat etwas sehr Persönliches und Heimeliges an sich. Ich fühle mich auf Anhieb wohl. Zoe weist mich an, in der Eingangshalle zu warten und huscht schnell die Treppe hinauf. Nur wenig später kommt sie wieder. Sie hat ausgetretene Sandalen sowie ein Sommerkleid an und im Gesicht sind die Spuren des Weinens verschwunden. Ich kann keine Schminke erkennen. Ihre Schönheit kommt voll zur Geltung.

„Können wir gehen?", lächelt sie mich schüchtern an.

„Wir müssen tatsächlich ein Stückchen zu Fuß gehen", sage ich. „Ich habe meinen Wagen etwas weiter weg neben der Straße geparkt."

„Du konntest wohl die Einfahrt nicht finden", grinst sie mich neckisch an.

Ich bejahe ihre Frage und freue mich ehrlich, dass sie etwas bessere Laune hat. Ihr Grinsen ist zwar noch eher verhalten, aber es ist schon mal ein Anfang.

„Du lebst versteckt hier", versuche ich mich zu verteidigen.

„Wer soll mich denn suchen? Es hat deshalb wenig Sinn, eine große Leuchtschrift über die Einfahrt zu hängen, damit sogar du sie findest", grinst sie nun schon ein wenig breiter und amüsiert sich köstlich auf meine Kosten.

Wir sparzieren einträchtig neben einander zu meinem Auto. Zoe will gar nicht wissen, wohin ich fahren will und so mache ich mich auf den Weg nach Torbole, wo ich ein nettes Restaurant kenne. Dort isst man hervorragend. Ich mag dort besonders die Grillplatte mit Meeresfisch. Deshalb erkundige ich mich bei Zoe, ob sie Fisch mag.

„Ja, gerne. Natürlich! Ich bin aber auch mit einer Pizza zufrieden", meint sie bescheiden.

„Lass uns unser Zusammentreffen feiern", antworte ich gut gelaunt. Ich bestelle eine Grillplatte für zwei, Weißwein und Wasser.

„Mir ist aber nicht zum Feiern zumute", antwortet sie mit einer Traurigkeit, die mir sehr zu Herzen geht.

„Lass nicht deinen Mut sinken. Du weißt ja noch gar nicht, wer der neue Besitzer ist und was er mit dem Haus vorhat", versuche ich ihr Mut zu machen.

„Was soll er denn mit dem Haus schon wollen? Er wirft mich raus und zieht dann selbst ein", antwortet sie resignierend. „Wozu soll er sonst ein Haus kaufen."

„Das ist doch noch gar nicht gesagt. Könnte ja auch sein, dass der neue Besitzer froh ist, wenn jemand hier wohnt und auf das Haus aufpasst. Oder es kann sein, dass er es nur als Ferienhaus gekauft hat und nur wenige Wochen im Jahr hier ist", werfe ich ein.

„Wozu wolltest du das Haus kaufen?", erkundigt sie sich und wechselt damit abrupt das Thema. „Du warst doch auch daran interessiert, hast du gesagt."

„Nun ja, eigentlich ist das ganz einfach. Ich habe ein wenig Geld geerbt und wollte es anlegen. Da ich von solchen Sachen aber absolut keine Ahnung habe, habe ich mich online kundig gemacht und dein Haus gefunden. Es hat mir auf Anhieb gefallen und ich habe mich deshalb interessiert", erkläre ich ihr.

„Und offenbar warst du der einzige, der sich vorher ein Bild vom Haus machen wollte. Leider zu spät", antwortet sie.

„Ich wollte es sehen, weil es mich fasziniert hat. Hätte ich gewusst, dass darin ein so hübsches und sympathisches Mädchen wohnt, dann hätte ich vermutlich sofort ein Gebot abgegeben", versuche ich ihr vorsichtig ein Kompliment zu machen.

Sie hat wohl im Augenblick ganz andere Sorgen, denn bei meinen Worten verzieht sie nicht im Mindesten ihre bedrückte Miene. Sie reagiert einfach nicht auf mein Kompliment. So absolut keine Reaktion ist dann schon beinahe frustrierend. Noch lieber als gar keine Reaktion wäre mir wohl gewesen, ich hätte aus ihrem Verhalten herauslesen können, dass sie an mir kein Interesse hat. Dann wüsste ich zumindest woran ich bin. Aber so hänge ich weiterhin in der Luft.

In dem Moment wird mir zum ersten Mal wirklich bewusst, dass ich etwas für sie empfinde und hoffe, dass es ihr ebenso geht. Ich mag Zoe, ich mag sie wirklich. Ich fühle mich in ihrer Gesellschaft wohl, obwohl die Stimmung gedrückt ist. Wie angenehm muss es erst mit ihr sein, wenn sie gut gelaunt und vergnügt ist. Kann ich sie ausgelassen und fröhlich erleben, wie jedes andere Mädchen? Ich wünsche es mir.

„Warum ist es eigentlich zur Zwangsversteigerung gekommen?", frage ich, schränke aber gleich ein, „Wenn das nicht zu neugierig ist. Ich kann verstehen, wenn du es mir nicht erzählen willst."

„Es ist eine lange Geschichte", sagt sie nur.

Und wieder kann ich nicht einschätzen, wie sie das meint. Will sie ausweichen? Will sie es verdrängen, hängt das gar nicht mit mir zusammen? Keine Ahnung, dieses Mädchen ist für mich ein großes Buch mit sieben Siegeln. Sonst kann ich die Signale Anderer und ihre Körpersprache meist recht gut lesen. Aber bei Zoe fällt es mir schwer.

„Wir haben Zeit", lächle ich unsicher.

Zum ersten Mal, dass sie reagiert, sie lächelt zurück. Zwar etwas gequält, aber immerhin, sie lächelt. Sie schaut mir geradewegs in die Augen, strafft etwas ihren Körper und beginnt dann zu erzählen.

„Ich war neunzehn und habe mich unsterblich in einen Mann verliebt. Meine Eltern waren damit ganz und gar nicht einverstanden. Sie haben mich vor ihm gewarnt, mich angefleht, mir gedroht, ich würde schon sehen, wohin ich mit ihm kommen würde. Schlussendlich haben sie mich damit erpresst, mich zu verstoßen und zu enterben, sollte ich mich nicht umgehend von ihm trennen.

Ich weiß nicht, wie du in der Pubertät warst, ich war stur und glaubte alles besser zu wissen. Als sie mich vor die Wahl gestellt haben, ihn oder sie, da habe ich wohl auch ein wenig zum Trotz mich für den Mann entschieden."

Zoe schaut mir die ganze Zeit sehr ernst direkt in die Augen. Ich sehe ihr deutlich an, wie schwer es ihr fällt, von dieser Geschichte zu erzählen. Ihre Augen sind feucht und die Traurigkeit in ihrer Stimme zerreißt mir fast das Herz.

Sie schaut nachdenklich auf die Sonne, weit draußen am Horizont langsam in den See taucht. Ihre grenzenlose Traurigkeit und die unglaublich romantische Stimmung des Sonnenuntergangs passen so ganz und gar nicht zusammen. Doch gerade dieser Gegensatz bringt den ungeheuren Schmerz in ihrer Seele noch viel besser zum Ausdruck.

„Ich habe das noch niemandem erzählt. Entschuldige, aber es ist wirklich nicht einfach für mich", erklärt sie abwesend. Ich habe den Eindruck, sie sagt es mehr zu sich selbst als zu mir.

Ich kann ihren Schmerz und ihre Trauer fast körperlich spüren. Wie gerne würde ich sie jetzt in den Arm nehmen und ganz fest an mich drücken. Ich bin mir gleichzeitig bewusst, dass das Vertrauen, das sie mir durch die Erzählung ihrer Geschichte schenkt, etwas ganz Besonderes, etwas Einmaliges ist. Ich bin mir der großen Ehre bewusst.

In dem Moment kommt der Kellner und Zoe versucht ihm gegenüber ihre Tränen zu verbergen. Sie schaut in die andere Richtung, hinaus auf den See. Der Kellner bringt uns einen Teller, auf dem auf einem Pizzateig eine ganze Menge gegrillter Fisch und Meerestiere auftürmen sind. Es sieht unglaublich lecker aus, aber ich zweifle ehrlich daran, dass wir das alles aufessen können. Es ist eine echt große Portion.

„Das sieht aber lecker aus", meint Zoe. Sie prostet mir mit dem Glas Weißwein zu. „Mahlzeit!"

Sie hat sich offenbar wieder gefangen und ist wieder etwas gelöster. Während des Essens wechseln wir das Thema. Wir reden eigentlich mehr über belanglose Themen.

„Was machst du von Beruf?", will sie zum Beispiel wissen.

„Ich bin Arzt. Aber im Augenblick pausiere ich ein paar Wochen. Ich habe, wie schon gesagt, von einem Onkel eine schöne Summe Bargeld geerbt und musste deshalb einige Dinge regeln und in Ordnung bringen. Ich hatte das nötige Geld und die Zeit, mich für dein Haus zu interessieren", antworte ich ehrlich.

„Was für ein Arzt?", will sie wissen.

„Orthopäde."

„Und wo?"

„Ich lebe in München und habe dort auch bis vor kurzem gearbeitet. Ich bin nicht sicher, ob ich nach München zurück will. Im Augenblick überlege ich, ob ich nicht etliche Tage hier in der Gegend bleibe. Es gefällt mir hier", gebe ich ihr bereitwillig Auskunft. Ich bin mir aber auch bewusst, dass mir nicht nur die Gegend, sondern vor allem Zoe gefällt.

„Wo wohnst du hier?", will sie wissen. Sie trifft damit einen wunden Punkt, denn ich habe noch keine Bleibe.

„Oh ja, gut, dass du mich daran erinnerst. Ich muss mir noch ein Hotel oder ein Pension suchen. Kannst du mir etwas empfehlen?"

„Du kannst bei mir wohnen, wenn du willst.", bietet Zoe bereitwillig an. „Zumindest heute Nacht."

„Ich will dir keine Umstände bereiten."

„Das ist für mich kein Problem. Einbetten und so musst du schon selber", grinst sie mich etwas vorsichtig an. „Außerdem wohne ich im Südturm und du kannst im leeren Zimmer im Nordturm wohnen. Das macht mir keine Umstände. Viel Luxus darfst du halt nicht erwarten."

„Damit kann ich leben", antworte ich sofort. Ich kann dabei wohl meine Freude nicht richtig verbergen, dass ich in ihrer Nähe bleiben darf.

„Gut, dann ist das auch geklärt. Also erzähle ich dir meine Geschichte zu Hause weiter. Ich habe noch eine Flasche Wein. Die können wir uns genehmigen. Dann verkraften wir das Ganze auch etwas leichter.", lächelt sie vorsichtig.

Wieder kehrt Ruhe ein und wir essen still vor uns hin. Während ich langsam satt werde, haut Zoe weiterhin ordentlich rein und isst mit sichtlichem Genuss. Als ich mein Besteck auf den Teller lege und aufgebe, schaut sie mich entschuldigend an.

„Ich habe seit zwei Tagen nichts mehr gegessen", gesteht sie und schockt mich damit.

„Und den Wein auf nüchternen Magen konntest du nicht trinken", versuche ich mit einem Scherz das Ganze etwas zu überspielen.

Zoe lächelt etwas schief auf meinen Witz hin, zeigt sonst aber wieder einmal keine Reaktion. Ich auf jeden Fall bin zutiefst betroffen. Dass in der heutigen Zeit jemand mitten in Europa nicht genug zu essen hat, ist für mich völlig unvorstellbar. Und doch gibt es mehr solcher Fälle, als man glauben möchte.

„Nachspeise?", frage ich, als sie tapfer den ganzen Teller leergegessen hat. Selbst die Pizzaunterlage hat sie verdrückt.

„Gerne, ein Tiramisu", lächelt sie mich neckisch an. „Das habe ich zufällig auf der Karte entdeckt. Ich mag Tiramisu unglaublich gerne.

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