Category: Sehnsüchtige Hausfrauen Geschichten

Out of Africa - Teil 03

by Wespe©

Für Julia vergingen die Stunden des Nachmittags zäh wie Ahornsirup.

In Abständen von höchstens zehn Minuten schaute sie auf ihre Armbanduhr, wartete, lauerte, freute sich und bangte gleichzeitig, dass der Kurier mit dem Paket pünktlich ankommen und Joseph ihn abpassen könnte, ohne das John seiner gewahr wurde.

Tayo war schon seit einiger Zeit wieder zurück auf der Farm. Schweigend und verbissen belud er Johns 4x4 mit Werkzeug und Maschendraht, nachdem er ein lautstarkes Donnerwetter des Masters schweigend über sich ergehen lassen musste.

Julia hatte ihn zwar sofort nach seiner Rückkehr von Johns Wutausbruch und ihrer Ausrede erzählen können, aber dies schütze den Schwarzen am Ende nicht vor den Launen des jähzornigen Farmers.

Hedwig war am Nachmittag mit Taschen und Tüten beladen, auf das Beste gelaunt nach Hause gekommen. Bis zum Abendessen hatte sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen, um zu packen. Julia wusste, dass sie die alte Dame nicht extra instruieren musste, John sprach ohnehin kein Wort, als unbedingt notwendig mit ihr.

Außerdem hatte sich der Farmer für heute Abend wieder mit Christiaan und Ahrend verabredet. Heute Nacht musste auf Biegen und Brechen Billard gespielt werden.

Julia nahm Johns Ankündigung lediglich mit einem Achselzucken hin, war sie doch froh, auf diese Weise den späteren Abend für sich zu haben und ihre Zeit mit den kleinen Geparden verbringen zu können. Dass John am Ende wieder vor einem gemeinsamen Abend mit Hedwig davon lief, war ihr auch ohne Diskussion mit ihm klar.

Als Tayos Arbeitstag um 16.00 Uhr endete und er sich zum Farmtor begab, um auf den Kurier zu warten, griff Julia angespannt zu ihrem Handy und rief den Fahrer an, um sich nach seiner ungefähren Ankunftszeit zu erkundigen.

Dieser Tag sollte einen glücklichen Ausgang finden.

Der Kurier gab an, gerade die Stadtgrenze von Leeudoringstad zu erreichen, sodass in den nächsten 15 Minuten mit ihm zu rechnen war.

Unruhig lief Julia durch das Haus. Sie hoffte, John in seinem Arbeitszimmer vorzufinden. Dessen Fenster war in Richtung Pferdekoppel, entgegengesetzt zum Tor ausgerichtet. Erleichtert fand sie John laut schnarchend auf der Terrasse. Augenscheinlich hatte ihm das Saufgelage letzte Nacht ordentlich zugesetzt.

Nun konnte sie nichts anderes tun, als das Ende dieses Tages abzuwarten.

Gegen 18.00 Uhr entschloss sich Julia, Melodie von der Koppel zu holen, um sie in ihren Stall zu bringen. So fiel es nicht auf, dass sie sich dort aufhielt und Julia konnte sich endlich Klarheit darüber verschaffen, ob das Paket mit der Gepardennahrung planmäßig angekommen war.

Ihr Herz klopfte freudig, als sie einen großen Karton in der Stallbox auf Tayos Schlafplatz liegen sah. Er selbst kniete im frischen Stroh und spielte mit den immer zutraulicher werdenden Kätzchen.

"Joseph! Ich freue mich so! Super, dass alles so hervorragend geklappt hat!", strahlte Julia übers ganze Gesicht.

"Ja, Ma'am, alles gut gegangen. Master John war nicht mal in der Nähe, als der Kurier das Paket abgegeben hat.", freute sich auch Tayo. Stolz ergänzte er seine Worte: „Die Kleinen haben frisches Stroh, alles sauber!"

Julia wusste, dass sie im Überschwang ihrer Gefühle jetzt zu weit gehen würde, aber sie konnte, sie wollte sich nicht zurückhalten. Dafür freute sie sich einfach zu sehr.

Ohne ein weiteres Wort ließ sie sich ebenfalls auf die Knie und umarmte Tayo. Sie drückte seinen vor Schreck völlig versteiften Körper an sich und murmelte: „Vielen vielen Dank für alles. Du bist der Beste!"

Als sie den jungen Schwarzen aus ihrer Umarmung frei gab, blickte sie in schreckgeweitete Augen und ein von Erstaunen hölzern wirkendes Gesicht.

"Ma'am ...?", stammelte Tayo und senkte seine Augen.

Völlig perplex über Julias unerwarteten Gefühlsausbruch rechnete er mit einer Ohrfeige, mit hysterischem Schreien, mit Schuldzuweisungen, wo es keine Schuld gab.

Nichts davon geschah.

Julia wand sich schweigend den Gepardenjungen zu und beobachtete lächelnd, wie die drei in ihrem ausgelassenen Spiel durch die Stallbox jagten.

Die sanfte Röte, welche ihr Gesicht überzog und auf den Wangen brannte, machte sie verlegen.

Verlegen und glücklich zugleich.

Tayo schien noch immer in eine Schockstarre verfallen. Es war ihm nicht möglich sich zu bewegen oder Julia anzusprechen.

So entstand eine Stille, die weder peinlich noch unangenehm war.

Es war die atemlose Stille zwischen zwei Menschen, die ahnten, dass das Schicksal einen besonderen, ungewöhnlichen Weg für sie vorgesehen hatte.

Erst Minuten später, als Julia ihre Emotionen wieder im Griff hatte, wand sie sich an Tayo:

"Willst du gar nicht wissen, was ich heute für die Babys erreichen konnte?"

"Doch Ma'am ... ich möchte schon, aber ich ... ich habe mich nicht ... ich wollte ... ich konnte nicht ...", stotterte Tayo.

Es war ihm nicht möglich gewesen, sich in den letzten Minuten zu sammeln. Julias plötzliche Umarmung hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen.

"Ok, ehe ich zurück ins Haus muss, erzähle ich dir schnell, was in den nächsten Wochen passieren wird. Ich muss mich beeilen, Anna wird sicher schon mit dem Abendessen warten.

Pass auf: Ich habe eine Organisation gefunden, die Geparde aus ganz Südafrika aufnimmt, diese aufzieht oder gesund pflegt und später in Namibia, in einem Gebiet, wo keine Farmen existieren, wieder auswildert. Es ist das ‚Ann van Dyk - Cheeta Centre' in Brits, nahe Pretoria."

Tayo pfiff leise durch die Zähne.

"Das ist weit weg, Ma'am.", unterbrach er Julias Bericht.

Julia nickte.

"Ja, dass stimmt. Aber du wirst gleich verstehen, warum die Entfernung nicht so problematisch ist. Wir haben nämlich noch ein paar Wochen Zeit, ehe unsere Geparde dorthin übersiedeln können."

Jetzt huschte ein glückliches Lächeln über Tayos Gesicht.

Schweigend hörte er weiter zu, was Julia ihm zu erzählen hatte. Die Augen gesenkt, konzentrierte er sich auf ihre Worte. So hatte er Gelegenheit, dem Gefühlschaos in seinem Kopf Herr zu werden.

Julia berichtete weiter:

"Ich habe heute Morgen mit dem Chef dort gesprochen. Das Cheeta Centre ist derzeit voll mit jungen erwachsenen Tieren und ein paar Pflegefällen, die nie wieder ausgewildert werden können. Die Jungtiere sollen aber in ungefähr zwei, höchstens drei Wochen nach Namibia gebracht werden. Danach ist wieder Platz in der Anlage und erst dann müssen wir unsere Drei dorthin bringen. Deswegen hat mir der Kurier heute auch das Futter gebracht. Es wird für die nächste Zeit reichen. Wann immer die Mitarbeiter aus Namibia zurück sind, werde ich einen Anruf erhalten und dann müssen wir sehen, wie ich mit unseren Babys nach Brits komme. Ein Auto habe ich, das sollte kein Problem sein.

Es wird auch nicht schwierig werden, ein Argument zu finden, warum ich für zwei, drei Tage nicht auf der Farm sein kann. Ich denke, wenn ich John erzähle, dass ich mit meiner Kirchengruppe unterwegs bin, um irgendwo irgendeine Veranstaltung zu besuchen, wird er mir das glauben. Ich schätze, ich muss mich nicht einmal umhören, um etwas Entsprechendes zu finden. Die Kirche respektiert er und ich werde ihn wie immer, nicht im Mindesten interessieren."

Für einen kurzen Moment breitete ein Schleier aus Traurigkeit über Julias Gesicht aus.

"Ma'am, wollen Sie die Geparde allein dorthin bringen?", platzt Tayo jetzt mit zusammengebissenen Zähnen hervor.

Er wusste, trotz Julias Veränderung ging er wieder zu weit, konnte er mit dieser Frage alles Schöne zerstören, was in den letzten Stunden hier im Stall entstanden war.

Aber einen Abschied von ‚seinen' Geparden auf diese Weise konnte und wollte er nicht akzeptieren.

Julia jedoch reagierte wieder in einer Form, die Tayo so nicht erwartet hatte:

"Joseph, ich weiß! Ich muss mir noch etwas überlegen, wie ich dich mit auf diese Reise nehmen kann. Aber im Augenblick fällt mir nichts ein. Lass uns später darüber nachdenken, ok? Ich verspreche dir, ich werde eine Lösung finden! Es ist ja verständlich, wenn du dich selbst davon überzeugen willst, dass es den Geparden auch in Zukunft gut gehen wird.".

Bei Julias Worten ging ein Ruck durch den Körper des schwarzen Mannes und nun war er es, der seine Ma'am spontan und völlig unvorhersehbar an sich riss und voller Freude festhielt.

NEIN!

BITTE NICHT!

Aus Julias Mund entwich ein spitzer Schrei, ihr Körper spannte sich an, sie wollte sich losreißen und schreien. Ohne Vorwarnung schossen Erinnerungen, Bilder aus der Vergewaltigung durch ihren Verstand.

SCHWARZ!

DAS IST EIN SCHWARZER DER MICH FESTHÄLT!

Doch in derselben Sekunde, als Tayo ihren Oberkörper frei geben wollte, weil ihm in Panik bewusst wurde, was er da angerichtet hatte, war es Julia, die ihre Arme um ihn legte, um seine Geste zu erwidern.

'Beruhige dich! Nichts Schlimmes passiert hier! Es ist Joseph!', mahnte sich Julia. ‚Er kann nichts für das Schreckliche, was dir widerfahren ist. Du magst ihn, er ist dein Freund, dein Verbündeter, dein Komplize! Er tut dir nichts, er freut sich nur, weil du ihn mit nach Brits nehmen willst!'

Julias Herz pochte, als wollte es zerspringen.

Aber trotz aller Panik welche sie ergriffen hatte, drückte sie ihr Gesicht an seine Halsbeuge, genoss den Geruch seiner Haut, den Duft nach Erde, Stroh und Schweiß.

"Sag mir deinen richtigen, deinen afrikanischen Namen!", flüsterte Julia.

"Tayo ... mein Name ist Tayo -- geboren zum glücklich sein.", murmelte der Gärtner mit heiserer Stimme. Seine ausgetrocknete Kehle brannte.

Julias Umarmung wurde fester, deutlicher. Wortlos presste sie ihren Körper an seinen Brustkorb.

"Tayo...", formten ihre Lippen tonlos seinen Namen.

Tayo schloss die Augen. Er war sich sicher, in diesem Augenblick zu träumen, einem narrenden Trugbild all der Götter, die ihm nicht wohl gesonnen waren, zu begegnen.

Aber er konnte trotz der Panik die ihn erfasst hatte nicht widerstehen, er musste Julias Haare berühren. Seine große Hand strich vorsichtig über den Hinterkopf der weißen Frau, die noch immer still und bewegungslos in seinem Arm ruhte und glitt über deren seidige, weiche Mähne.

Jetzt schloss auch Julia ihre Augen.

Sie wusste, was sie hier zuließ war nicht falsch. Tayo war keiner der Männer, welche sie damals geschändet und missbraucht hatten.

Und dennoch war es ein Fehler, ein Skandal, ein Vergehen, das sie zum Gespött und Gesprächsthema in ganz Leeudoringstad werden lassen würde, käme es je ans Tageslicht.

Aber die Nähe dieses fremdartigen Mannes fühlte sich gut an, geborgen und sicher.

Als sie die Bewegung von Tayos Händen auf ihren Haaren fühlte, zog wieder ein lustvoller Schauer über ihren Rücken.

Nein!

DAS durfte nicht sein!

Nicht jetzt, nicht hier, nicht so ... nicht mit ... ihm!

Wortlos löste sich Julia aus der Umarmung, stand auf und rannte verstört aus dem Stall ohne einen Blick oder ein weiteres Wort an Tayo zu richten.

Als Julia an der Wand des Stallgebäudes gelehnt, die würzige Abendluft tief in ihre Lungen sog, schloss sie die Augen.

Sie wusste, es war an der Zeit sich einzugestehen, dass sie auf dem besten Weg war, sich in Tayo zu verlieben.

Konnte ... wollte sie das zulassen?

Sollte sie, die Frau des Masters, ein heimliches Verhältnis mit ihrem schwarzen Gärtner eingehen?

Hatte Joseph überhaupt die gleichen Empfindungen wie sie?

Sollte sie John verlassen und ...? Ja. Und?

Was würde passieren, wenn ...?

Simbabwe?

Ein Leben in einem primitiven Dorf, mitten im Busch, in einem winzigen Lehmhaus, das Dach gedeckt mit Gras? Ohne Strom, Kanalisation und fließendem Wasser? Eine Existenz inmitten der schwarzen Dorfgemeinschaft? Wäsche waschen am Fluss, wie vor 200 Jahren?

Für sie?

Als Weiße?

Alles drehte sich ...

Julia schüttelte entschieden den Kopf.

NIEMALS!

Aber Tayo ... sie wollte ihn, mochte ihn, alles andere zählte nicht.

Entschlossen straffte sie ihren Körper.

Sie war sicher keine starke Frau. Es hatte in ihrem Leben vor der Vergewaltigung noch nie Ereignisse gegeben, die Stärke von ihr verlangt hatten. Auch schwere und wichtige Entscheidungen hatte ihr das Leben noch nie abgerungen, dafür war ihr Mann zuständig.

Seit ihrer Geburt war sie finanziell bestens versorgt, erst von ihren Eltern, dann von John.

Aber Julia wusste: Egal was passierte - jetzt und hier begann eine neue Zeit -- ihre Zeit!

Mit festen Schritten marschierte sie über den Hof zurück zum Haus.

Es war Zeit, sich für das Abendessen frisch zu machen und Tante Hedwig in den nächsten Stunden Gesellschaft zu leisten.

Nachdem Julia in Panik aus dem Stall gehetzt war, fiel Tayo im Stroh auf die Knie.

Er war noch nie ein Mann der großen Gefühle gewesen, dafür war sein Leben zu hart.

Aber jetzt liefen ihm Tränen über die Wangen und er schluchzte hemmungslos.

Er hatte Angst, war verzweifelt und zugleich voller Euphorie.

Wie sollte er sich verhalten? Was tun?

Noch nie hatte er tief in sich ein so starkes Gefühl empfunden wie vorhin.

Was erwartete Julia von ihm; von ihm als Mann?

Fühlte sie überhaupt etwas für ihn?

Durfte sie Interesse an einen Schwarzen, einen Nigger, einen Kaffer haben?

Ergab es Sinn, sich solchen Illusionen hinzugeben?

Träumte sie davon?

Wie konnte er vermeiden, einen Fehler zu begehen, der am Ende allen schaden würde, wenn er nicht wusste, was zu tun war?

Was würde mit Julia passieren, wenn sie sich dazu entscheiden würde, mit ihm ...?!

Ja, was eigentlich?

Welche Wünsche hatte er?

Was erhoffte, ersehnte er sich?

Wollte er Julia als Frau, als weiße Frau?

Strebte er danach, sie anzusehen, sie zu berühren?

Erträumt er sich Sex mit ihr?

Suchte er ihre Freundschaft?

Ihre Liebe?

Was würde geschehen, wenn John dahinter käme, dass er Tayo, er Joseph, dessen Frau...?

Der Master würde ihn totschlagen, wie einen tollwütigen Hund!

Was sollte werden mit dem Kind in seiner Hütte und der Frau, die er nicht liebte?

Am Ende musste Tayo sich darüber klar werden, dass er diesen Fragen nicht auf den Grund gehen konnte, weil er zu keinem Ergebnis kam.

Oder er kannte das Resultat ganz genau und wollte es sich nur nicht eingestehen.

Endlose Minuten wirbelten seine Gedanken durcheinander, ehe Tayo in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.

Als Julia das Esszimmer des Farmhauses betrat, saß Hedwig bereits am Tisch.

"Guten Abend, meine Liebe!", begrüßte die alte Dame ihre Nichte in aufgekratzter Stimmung. „Wie geht es dir? Du siehst angespannt und glücklich zugleich aus!"

Wieder wunderte sich Julia über die analytischen Fähigkeiten ihrer Tante. Hedwig musste sie nur ansehen und konnte sofort die richtigen Schlüsse ziehen.

"Danke, Tantchen, es geht mir soweit gut. Es ist vieles passiert in den letzten Stunden. Das strengt mich an und belebt mich zur selben Zeit. Kaum zu glauben, oder?", antwortete Julia wahrheitsgemäß.

Hedwig nickte verstehend.

"Das sieht man dir an, mein Kind! Ich will hoffen, dass es dich am Ende glücklich macht, egal was es sein mag. Du hast bei Gott genug gelitten!"

Ein Lächeln huschte über Julias Gesicht.

" Hedwig, glücklich macht es mich schon jetzt, irgendwie."

Die alte Dame griff über den Tisch hinweg nach Julias Hand.

Beschwörend mahnte sie ihre Nichte eindringlich: „Julia, versprich mir eines:

Egal ... völlig egal was es ist, das dein Leben verändert, wenn du nicht mehr weiter weißt und meine Hilfe benötigst, lass es mich wissen. Es ist irrelevant, ob es um Geld, einen Meineid oder sonst etwas geht, ich will und werde dir helfen!"

Julias Augen füllten sich von Tränen der Rührung.

Wie sehr sie diese alte Frau liebte!

"Wirklich immer?", fragte sie leise nach. „Und wenn ich den Fehler meines Lebens machen würde?"

"Ach Kind!", rief Hedwig jetzt aus. „Den Fehler deines Lebens, befürchte ich, hast du hinter dir gelassen, an dem Tag, an welchem du John geheiratet hast. Schau dich an. Dein Leben ist ... war freudlos. Da ist keine Liebe mehr, keine Nähe, keine Zärtlichkeit, kein Vertrauen. Nur noch stumpfes Vor-sich-hin-Funktionieren. So schlimm könnte es nicht kommen, dass man vom Fehler deines Lebens reden könnte!"

'Wenn du wüsstest...', dachte Julia, dankbar für Hedwigs Ermutigung und lächelte ihrer Tante über den Tisch hinweg zu.

"Nun bist du dran, Tante Hedwig, erzähle mir von deinem Nachmittag mit Dr. Levin!", forderte sie die alte Dame auf und prostete ihr mit einem Glas Rotwein zu.

Der Rest des Abends verlief für die beiden Frauen angenehm. Nah beieinander sitzend redeten sie über Gott und die Welt und versuchten sich tunlichst nicht daran zu erinnern, dass morgen der Tag des Abschieds sein sollte.

Julia erwischte sich das ein oder andere Mal, wie sie verstohlen auf die große Standuhr des Salons blickte. Auch wenn sie nicht wusste, auf welche Weise sie Tayo heute Nacht begegnen sollte, konnte sie die Zeit nicht abwarten, ihn endlich wiederzusehen.

Außerdem empfand sie Mitleid mit den kleinen Geparden. Nach 24 Stunden ohne Nahrung mussten die armen Tierchen völlig ausgehungert sein.

Als die Zeiger der Uhr Mitternacht ankündigten, stand Hedwig auf, um schlafen zu gehen. Herzlich und voller Liebe umarmte sie ihre Nichte und verließ rasch den Raum. Sie wollte nicht, dass Julia die Tränen in ihren Augen sah. Gern würde sie morgen nicht die Heimreise antreten. Zu viele Dinge waren hier passiert, zu viel Unausgesprochenes gab es zwischen ihr und John. Sie bedauerte, dass ihr Neffe nicht zu einem einzigen wirklichen Gespräch mit ihr bereit gewesen war. Aber sie hatte in ihrem langen Leben gelernt, dass man manche Dinge nicht erzwingen konnte.

Julia räumte die Weingläser und die leere Flasche in die Küche. Den Rest würde Anna morgen erledigen. Ein letzter Blick durch den Salon bestätigte ihr, dass ihre Arbeit hier getan war und sie sich jetzt auf den Weg in den Pferdestall machen konnte.

Ihr Herz klopfte hart an den Rippen, als sie mit schnellen, kleinen Schritten über den sandigen Hof lief und leise die schwere Holztür öffnete.

Wie sie es erwartet hatte, schlief Tayo auf seinem Stroh- und Pferdedeckenlager. Die kleinen Geparde liefen suchend in der Box umher und stießen leise, klägliche Jammerlaute aus. Melodie scharrte unruhig mit ihren Hufen.

"Ihr Armen!", flüsterte Julia betroffen, während sie ihrem Pferd beruhigend den Hals tätschelte.

„Noch einen kleinen Augenblick, dann bekommt ihr euer Futter. Und ab morgen werde ich versuchen, euch mehrmals am Tag zu versorgen. Tayo wird mir sicher helfen. Ihr sollt doch überleben und in Namibia als freie, wundervolle Raubkatzen leben."

Ungeduldig riss Julia das Paket auf und überflog rasch die Anweisung, in welcher Dosierung die einzelnen Zutaten des Spezialfutters mit frischem Wasser zusammengemischt werden mussten. Dann endlich konnte sie drei randvolle Schalen auf den Boden stellen und sich an der Gier der Kleinen während ihrer Mahlzeit erfreuen.

Vorsichtig setzte sich Julia neben den schlafenden Tayo ins Stroh. Für einen kurzen Augenblick zauderte sie, dann lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. Ein tiefes zufriedenes Seufzen drang aus ihrem Brustkorb.

Auch heute hatte die friedliche Stille, welche sie umgab, eine heilende Wirkung auf die verunsicherte und tief in ihrem Inneren aufgewühlte Frau.

Julia fühlte umfassendes, ehrliches Glück.

In dem Moment, als Julia sich neben Tayo gesetzt hatte, erwachte der müde Mann von der Bewegung neben ihm. Sein Schlaf war nicht tief genug gewesen, um nicht zu wissen, wo er sich befand und wer neben ihm im Stroh saß. Tayo öffnete seine Augen und hielt still, Julias Nähe genießend. In tiefen Atemzügen nahm er den Duft ihres Parfüms in sich auf, schmunzelte über das sanfte Kitzeln ihrer langen Haare auf seinem Brustkorb.

Minuten vergingen, in denen die Geparde mit schmatzenden Geräuschen ihre Schalen leerten.

Als der Kräftigste von ihnen seine Mahlzeit beendet hatte, begann er, seine Geschwister zum Spiel aufzufordern. Bald musste Julia herzhaft lachen, als die kleinen Fellknäule fauchend übereinander durch das Stroh rollten, ihre kleinen Krallen ausfuhren, und Kampf- oder Jagdszenen miteinander übten.

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