Category: Sci-Fi & Phantasie Geschichten

Wenn die Nachtigall erwacht 02

by _Faith_©

Originaltitel: fear of the dark

Ein heller Streifen Sonnenlicht drang durch einen Spalt in der Jalousie und zog sich quer über Miriams Gesicht. Blinzelnd erwachte sie und wollte ihre Hand schützend vor die Augen halten. Die Bewegung ihres Arms wurde von dem Latexkokon, der ihren Körper umschloss, verhindert. Miriam rollte sich träge zur Seite und ertastete ihren erwachenden Körper. Sie gurrte vor Lust, als ihr die beengende Situation bewusst wurde, und schob ihre Hand zwischen die zusammengepressten Beine. Glatt, glitschig und warm von den Fußspitzen bis zum Hals -- heiß zwischen den Schenkeln. Ihr Zeigefinger fuhr über den Venushügel, tauchte in den Ansatz ihrer Spalte und kreiste um den pochenden Kitzler.

Sie formte einen schmachtenden Kussmund und schloss ihre Augen. Das satte Blau ihrer Lippen schimmerte mit feuchtem Hochglanz im eindringenden Sonnenlicht. Der verführerisch ausgeprägte Amorbogen entspannte sich in einer hauchzarten Bewegung, begleitet von einem kaum hörbaren Schmatzen. Ihre Lippen öffneten sich und bildeten ein verlockendes Oval. Im entspannten Zustand stand dieser Mund offen, lockte mit aller Macht, die optisch vermittelbar war, nach Zuwendung, nach Penetration. Er gierte nach heißem Sperma, im Austausch für Sinneserfahrungen, die in keinem Verhältnis zur geleisteten Spende standen.

Geschmeidig fließend, wie die Kopfbewegung einer Schlange, schob sich ihre glatte schwarze Zungenspitze durch den Lippenspalt, leckte über die Wölbungen und hinterließ kleine Tröpfchen, wie Morgentau auf hochglanzpoliertem blauem Lack. In einem lang gezogenen Ausruf höchster Erregung bäumte sich ihr stramm umhüllter Körper auf. Ihr Becken zuckte und sank zurück auf die Matratze. Die Fingerkuppe umkreiste ihren Kitzler ein letztes Mal, kam zur Ruhe und verharrte zwischen den zusammengepressten Beinen. Miriam genoss die abklingenden Wellenschläge in ihrem Leib, ihr Durst nach Sperma war keineswegs gestillt, die Flammen schlugen höher als zuvor.

Widerwillig schälte sie sich aus dem Kokon und fühlte bei jeder Bewegung einen kühlenden Lufthauch auf ihrer ölig glänzenden Haut. Von dem guten Liter Babyöl war nur noch ein leichter Film auf der Innenseite des Kokons übrig, den Rest hatte ihre Haut über Nacht aufgenommen, sie glänzte in saftigem Schwarz. Miriam legte ihre Hände auf die straffen Brüste und griff fest zu. Das stramme Fleisch entglitt ihr, sie bekam nur die hart emporstehenden Knospen zu greifen und schloss ihre Augen mit sinnlichem Genuss, um das spitze Ziehen zu genießen.

Sie schob ihre Beine aus dem Bett. Mit einem verträumten Blick betrachtete sie ihre Füße, neigte den Kopf zur Seite und schloss kurz die Augen, um sich ein verspieltes Detail ins Bewusstsein zu rufen. Als sie den ersten Schritt aus dem Bett machte, hallte das helle Klack eines hohen Absatzes auf dem Boden. Es waren ihre Absätze, die da verführerisch über den Boden nagelten, nicht die Absätze irgendwelcher Schuhe. Anstatt der zierlich geballten Ferse ragte ein nach innen gewölbter Kelch dem Boden entgegen und lief in einem fingerdicken blauen Absatz aus. Ihre Zehen mit den dunkelblauen Nägeln standen fest auf dem Boden, ein Großteil ihres Gewichts lastete auf den Fußballen. Die Mittelfüße ragten steil empor und wurden von den zwölf Zentimeter hohen Absätzen gestützt.

In der ganzen Pracht ihrer Erscheinung schritt sie nackt, auf hohen Hacken, durch ihre Unterkunft. Auf dem Weg zur Küche blickte sie durch die offene Tür in den Raum, in dem der Pflanzkübel stand -- und erstarrte in der Bewegung. Aus der Oberseite der Datenkapsel, die sie erst vor einigen Stunden eingepflanzt hatte, ragte ein kurzer fleischiger Stiel mit einer handtellergroßen, orangefarbenen Blüte.

»Fuck!«, keuchte Miriam und erkannte den Grund für ihren ungewöhnlich großen Spermadurst: In ihrer Abstellkammer wuchs ein Cerebrat!

»Fuuuuck!«, rief Miriam, als ihr bewusst wurde, was das für Konsequenzen haben würde. Mit hastigen Schritten eilte sie aus dem Raum und führte ein Selbstgespräch: »Ist doch klar! Wenn man die Dinger in feuchte Erde steckt, schlagen sie Wurzeln, dann wählen sie ihre pflanzliche Erscheinungsform. Warum habe ich gestern nicht daran gedacht, als ich ihn einpflanzte?«

Miriam legte im Moment der Erkenntnis ihre Hand auf die Stirn. Sie hatte zwar der unmittelbaren Verlockung dieser Datenkapsel widerstehen können, war ihrer Macht dann aber doch erlegen -- zumindest auf einer subtilen Ebene.

In der Küche stand ein großer Stickstoffbehälter, in dem sie eine Notration an Sperma lagerte. Sie öffnete den Deckel und weiße Stickstoffschwaden waberten über ihre klavierlackschwarzen Arme. Miriam war durchaus in der Lage, ihren Spermabedarf aus eigener Kraft zu decken. Dennoch bevorzugte sie es, einen Notvorrat zu besitzen. Das Schwierigste war die Beschaffung des Behälters gewesen, den Stickstoff und die Spermaproben konnte man im Internet bestellen.

Miriam zog eines der Fläschchen aus dem flüssigen Stickstoff. Sie hielt die Spermaprobe mit den Spitzen ihrer Fingernägel, um sich keine Erfrierungen an den Fingern zu holen und stellte es vorsichtig auf die Küchentheke. Dann suchte sie eine weitere Substanz, die in der hinteren Ecke ihrer Küche stand. Nach kurzer Zeit kam sie zurück in den Raum, in dem V'nyx der IV. die Strahlen der aufgegangenen Sonne genoss. Miriam wusste nicht warum sie den Namen des Wesens kannte. Diese Information war plötzlich da, hielt sie aber nicht von ihrem Vorhaben ab.

Sie stellte eine große Flasche Chlorreiniger und das kleine Fläschchen mit dem tiefgefrorenen Sperma auf den Boden neben dem Kübel. Dann baute sie sich selbstbewusst vor der Blüte auf, stemmte eine Hand in die Seite und belastete das gegenüberliegende Bein.

»Siehst Du das?«, fragte sie provokant und zeigte auf ihre Lippen, »die sind blau!«

Die Blüte drehte sich ein Stück zur Seite, zeigte Miriam im Rahmen ihrer Möglichkeiten die kalte Schulter und provozierte die Blaue Königin damit erneut.

Mit dem Finger, der in einem königsblauen spitzen Nagel auslief, zeigte sie erst auf den Chlorreiniger, dann auf die Spermaprobe.

»Du kannst dir aussuchen, womit ich dich füttere. Wenn du auf deiner orangen Farbe beharrst, wird es deine letzte Mahlzeit sein.«

Die Blüte schloss sich zu einer tropfenförmigen Knospe.

»Du musst nicht gleich einschnappen, denk über mein Angebot nach!«, sagte Miriam und kniete sich neben den großen Blumentopf.

Die Blüte öffnete sich wieder und ließ ihre Blattspitzen rhythmisch kreisen. Miriam beobachtete den pulsierenden orangefarbenen Stern und kam langsam näher. Die wabernden Konturen der Blüte nahmen ihr gesamtes Sehfeld ein -- so etwas Faszinierendes hatte sie noch nie mit ihren Augen gesehen. Höchstens in der visionären Welt ihrer Art war ihr etwas Ähnliches begegnet -- damals, als sie noch über die Fähigkeit verfügte, diese Welt sehen zu können. In einer Bewegung, schneller als ein Wimpernschlag, huschte die Blüte vor und schmiegte sich an Miriams Gesicht.

Der kleine Stempel, der in der Mitte hervorragte, schob sich sanft zwischen ihre Lippen. Miriam fühlte die Blattspitzen auf ihren Wangen. Das Pflänzchen war noch schwach, sie könnte sich losreißen, aber gerade weil sie sich überlegen fühlte, verharrte sie mit gespitzten Lippen.

‚Blaue Königin, hm?', sagte die Stimme, die in Miriams Kopf ertönte. Die Stimme klang dunkel und etwas knorrig.

‚ ... Blinde Königin -- dumme Königin!', in der Stimme schwang eine herablassende Überheblichkeit, die sich Miriam nicht länger gefallen lassen wollte. Sie versuchte, sich der schwachen Umklammerung zu entziehen, als sie einen dumpfen Schmerz in ihrem Hals spürte. Die Blüte löste sich von ihr, aber der Schmerz in ihrem Hals wurde schlimmer. Ihr Kehlkopf brannte, sie rang um Atem und verlor das Bewusstsein.

*

Miriam glaubte zu träumen: Vor ihrem inneren Auge sah sie einen gierig lockenden Mund mit satt orangefarbenen Lippen, ähnlich ihren eigenen, wenn der Durst überhandnahm. Für einen normalen Traum waren die Farben zu kontrastreich. Ihre Träume erlebte sie nur in Pastelltönen oder als schwarz-weiße Stummfilme. Dieses Bild war gestochen scharf, so wie sie es aus ihren Erinnerungen kannte, als sie noch Zugang zu der visionären Welt ihrer Art hatte.

‚Ich kann wieder sehen!', dachte Miriam.

‚Ja, du kannst wieder sehen', sagten die orangefarbenen Lippen.

Miriam öffnete die Augen und schaute sich um. Sie kniete vor der kleinen Blüte in der Abstellkammer und streichelte sich nachdenklich über ihren Hals hinter der zierlichen, eng anliegenden Ohrmuschel. Dank V'nyx dem IV. war sie wieder in der Lage, die bildliche Gedankensprache ihrer Art zu empfangen. Sie streifte mit der Hand vom Ohr hinab zur Kehle, ungefähr an die Stelle, an der ihr neu gewachsener kontemplativer Cortex saß. Das Gewebe umgab ihre Schilddrüse, ohne die Konturen ihres schlanken Halses zu verändern. Miriam lachte vor Freude.

»Oh mein Gott! Ich bin wieder komplett!«

‚Ich habe Hunger!', vermittelte V'nyx der IV. telepathisch.

Miriam kniete vor dem winzigen Schössling eines Cerebraten und konnte mit ihm in Kontakt treten, wie es für ihre Art üblich war. Sie konzentrierte sich auf ihr inneres Auge und trat wieder in diese Welt ein, die ihr in den letzten Jahren nicht zugänglich war. Die orangefarbenen Lippen erschienen erneut vor ihrem inneren Auge und öffneten sich flehend. Miriam ignorierte die bettelnde Geste und schaute tief in den vor ihr schwebenden offenen Mund. Wie durch ein ovales Tor konnte sie einen Blick auf die dahinter liegende Welt werfen und erkannte die bizarre Pflanzenwelt, die sie als junge Drohne so oft besucht hatte.

‚Ich würde gerne mal wieder einen Spaziergang durch diese Welt machen', dachte sich Miriam.

Die orangefarbenen Lippen schlossen sich und verwehrten einen weiteren Blick auf diese Welt.

‚Gib mir, was ich zum Leben brauche!', sagte V'nyx der IV.

»Erst, wenn du meine Farbe akzeptierst! Ich habe vor Jahren geschworen, mich niemals von Gemüse beherrschen zu lassen!«

Miriam legte einen Finger mit einem königsblauen Nagel auf die orangefarbenen Lippen und symbolisierte die blaue Dominanz. Dann öffnete sie ihre Augen und sah das kleine Pflänzchen, das vor ihr in dem alten Blumentopf keimte, mit strengem Blick an.

»Überlege es dir«, sagte sie ermahnend und verließ den Raum, um zu frühstücken.

*

Haferflocken, Quark, eine Handvoll Zucker und klein geschnittene Erdbeeren türmten sich in der großen Plastikschale. Miriam verrührte die Zutaten, bis der Quark rosafarben schimmerte, und leckte den großen Löffel genüsslich ab. Sie liebte diesen Geschmack und nahm an ihrem Küchentisch Platz. Während des Essens packte sie ein nagelneues Handy aus und aktivierte eine jungfräuliche Sim-Karte, um ihre E-Mails abzufragen. Ihr Verschleiß an Mobilfunkgeräten und Prepaidkarten war enorm. Aber nach dem gestrigen Vorfall nahm sie sich vor, noch vorsichtiger zu sein.

Ihr E-Mail-Postfach war leer, es war auch keine neue Spam-Mail vorhanden. Nachdenklich kratzte sie die Reste in der Schüssel zusammen und fragte sich, ob sie in eine Falle getappt war. Sie überlegte, ob sie eine Antwortmail an die kryptische E-Mail-Adresse schicken sollte. Aber was sollte sie schreiben? Ihre schweren Gedanken verflogen, als ein enormer Penis vor ihr emporragte. Die vor Lust tropfende Eichel berührte fast ihre Nase und begann zu pumpen. Der erste ergiebige Schub spritzte ihrem Gesicht in Zeitlupe entgegen, sie riss ihren Mund weit auf, darauf bedacht, jeden Tropfen zu erhaschen.

Bevor der Saft ihre Zunge berührte, verblasste die Illusion. Die Frühstücksschale fiel vom Tisch, Miriam öffnete erschrocken ihre Augen und krallte sich an der Stuhllehne fest, um nicht auf den Boden zu fallen. Die Verwunderung schlug in Enttäuschung um.

»Das ist gemein!«, rief Miriam, »du hast mir die Fähigkeit des Sehens nur gegeben, damit du mich manipulieren kannst!«

‚Warum schreist du so?', fragte V'nyx der IV. telepathisch. Miriam sprang auf und ging in den Nebenraum. Sie sah eine orangefarbene Blüte, schüttelte den Kopf und drehte sich auf den Absätzen.

»Ich werde mich von dir nicht benutzen lassen«, sagte Miriam, als sie den Raum verließ.

Auf dem Weg in ihr Schlafzimmer wurde ihr bewusst, dass dieses kleine Pflänzchen gar keine andere Wahl hatte. Der Cerebrat war auf ihre Hilfe angewiesen.

‚Außerdem habe ich dir die Fähigkeit des Sehens geschenkt!', warf seine Stimme vorwurfsvoll ein.

»Scheiße! Kannst du meine Gedanken hören?«, fragte Miriam, während sie die Kleidung für den Tag zusammensuchte.

‚Ja, aber bald habe ich nicht mehr die Kraft dazu ', antwortete V'nyx der IV.

»Gut!«, sagte Miriam und schob ihren Kopf in den Raum, »dann überlege dir bis dahin, ob dir deine Farbe wichtiger ist als dein Leben.«

Nach dem Duschen schlüpfte sie in eine weiße Leinenbluse, zog eine zu Hotpants umfunktionierte , ebenfalls weiße Jeans an und schaute in den Spiegel: grüne Augen -- passt; blonde, lange Haare -- passt; heller Hauttyp -- passt; Oberweite -- passt; ...

Sie ging die Checkliste für die kühle Blonde sorgfältig durch, so wie es ihr beigebracht wurde. Obwohl diese Erscheinung ihrem menschlichen Ursprung am ähnlichsten kam, wollte sie keine Anfängerfehler machen. Routine war tödlich!

‚Wo gehst du hin?', fragte V'nyx der IV., als Miriam die Tür ihrer Behausung entriegelte.

»Ich gehe in die Stadt und mache, was Menschen halt so machen«, sagte sie und eilte in weißen Sneakers die Metalltreppe hinab.

***

Knapp zwei Stunden später befand sich Miriam auf einem Autobahnrastplatz. Sie saß hinter dem Lenkrad eines 2014er Ferrari F12 und drückte dem Autoverkäufer, der auf dem Beifahrersitz saß, die Hand auf den Mund. Sie trug weiße Stoffhandschuhe. Er schaute sie mit weit aufgerissen Augen an während sie ruhig zu ihm sprach: »Wenn sie jetzt rumzappeln oder sonst irgendwie die Nerven verlieren, gibt das hier eine riesen Sauerei.«

In seinen Augen spiegelte sich die nackte Panik. Was war das nur für eine Frau?

»Sie wollen das teure Auto doch nicht einsauen?«, fragte sie mit Nachdruck. Er schüttelte den Kopf. Miriams Hand auf seinem Mund folgte den Bewegungen.

»Heben sie die Hände hoch, damit ich sie sehen kann«, sagte Miriam so höflich, dass es wie eine Bitte klang. Er hob die geöffneten Handflächen auf Augenhöhe. Seine Atmung ging flach und stoßweise.

»Gut«, sagte Miriam und zeigte mit dem Daumen über ihre Schulter, auf das fahrerseitige Türfenster, »Die Jungs da draußen sind vielleicht nicht so einsichtig wie sie. Ich kümmere mich darum und was machen sie solange?«

»Nichts«, presste er durch schmalen Lippen.

»Richtig«, sagte Miriam und schenkte ihm das wertschätzende Lächeln, das ein kleiner Junger von seine Lehrerin erwarten konnte, wenn er etwas besonders gut gemacht hatte. Miriam drehte ihren Oberkörper von ihm weg und öffnete ihr Seitenfenster. Der Autoverkäufer beobachtete sie mit erhobenen Händen und fragte sich, wie es so weit kommen konnte.

*

Er hatte die Blondine mit den langen Beinen heute Morgen angesprochen, weil sie wie eine Raubkatze um den 2014er Ferrari F12 geschlichen war, der unter dem Vordach des Verkaufssalons parkte, und weil sie die einzige Kundin war und weil ein rassiger Sportwagen eine perfekte Gelegenheit war, um mit einer Traumfrau ins Gespräch zu kommen, und weil sie ihn dabei ertappte, als er ihr auf den knackigen Arsch gestarrt hatte, während sie mit vorgebeugtem Oberkörper in das Fahrzeug spähte.

»Sie passen gut zu dem Wagen, wollen sie sich mal reinsetzen?«, sagte er mit verlegenem Seitenblick, nachdem sie ihn auf frischer Tat ertappt hatte.

Sie nahm das Angebot mit einem Lächeln an, schob ihre langen nackten Beine in den Fußraum, rutschte in den Ledersitz und streichelte mit den Fingerspitzen über den Lederbezug des Lenkrades. Er stieg auf der Beifahrerseite ein und reichte ihr weiße Stoffhandschuhe.

»Würden sie die bitte anziehen? Das weiße Nappaleder ist sehr empfindlich.«

Die Blondine tat ihm den Gefallen. Die Sportsitze, das Lenkrad und große Teile des Interieurs waren mit weißem Leder überzogen. Das Fahrzeug war eine Sonderanfertigung nach Kundenwunsch und sollte noch diese Woche ausgeliefert werden.

»Und da geht er an«, sagte sie und zeigte auf den Knopf, der mit "Engine Start" beschriftet war.

»Ja, aber nur wenn...«

Das kernige Röhren des V12 Motors ließ ihn verstummen.

»Geiler Sound«, rief sie ihm zu, während sie gefühlvoll mit dem Gaspedal spielte. Er sah trotz der großen Sonnenbrille das Strahlen in ihrem Gesicht.

»Ja«, antwortete er unsicher, »theoretisch könnte man jetzt los fahren, aber ich bitte sie...«

Das Auto machte einen Satz nach vorne, sie schaute abwartend zu ihm rüber. Er war für ein paar Sekunden sprachlos. Sie ließ das Auto zur Ausfahrt rollen und schoss mit quietschenden Reifen auf die Straße, die aus der Stadt herausführte.

»Das geht nicht!«, sagte er, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, »wir können gerne eine Probefahrt vereinbaren, aber nicht heute und nicht mit diesem Wagen.«

»Was geht nicht?«, fragte sie unbeteiligt, als wäre sie mit ihren Gedanken gerade ganz wo anders gewesen. Der Tacho zeigte weit über hundert Stundenkilometer und die Ampel, der sie sich näherten, war rot.

»Schauen sie wenigstens auf die Straße«, flehte er, »an der Ampel wechseln wir die Plätze und ich fahre den Wagen zurück.«

Kurz bevor der Wagen an der Ampel zum Stehen kam, sprang die Signalanlage auf Grün. Sie gab wieder Gas und bog auf die Autobahnauffahrt ab.

»Hinter uns waren Autos, ich kann ja nicht bei Grün stehen bleiben, sonst fährt uns noch einer hinten drauf«, sagte sie und peitschte mit weit über zweihundert an einer LKW - Kolonne vorbei. Einen PKW, der vor ihr auf der zweispurigen Autobahn deutlich langsamer fuhr, überholte sie rechts und zog dann wieder scharf nach links, um an der nächsten LKW - Kolonne vorbeizuschießen.

»Sind sie verrückt! Wie haben sie die Führerscheinprüfung bestanden?«

»Ich habe nie eine Führerscheinprüfung gemacht, aber ich habe es mir für die nächste Zeit fest vorgenommen.«

Er war zu jung für einen Herzinfarkt, aber die Gelegenheit wäre günstig gewesen. Mit offenem Mund starrte er sie an, während sie gelassen in dem weißen Ledersportsitz saß und mit ausgestreckten Armen das Lenkrad festhielt - natürlich mit den weißen Stoffhandschuhen, die er ihr gegeben hatte.

»Wissen sie«, sagte sie ruhig und schaute bei über 250 Stundenkilometern zu ihm herüber, »ich bin normal nicht so, aber in meinem Leben hat sich in letzter Zeit viel verändert. Ich will nicht sagen, dass es schlechter geworden ist, aber vieles ist neu für mich.«

»Egal was sie belastet, es gibt für alles eine Lösung. Dazu müssen wir aber zurück in die Stadt und...«

Seine seelsorgerischen Bemühungen erstarben, als sie auf die rechte Spur zog und hart bremste. Sie verlangsamte den Boliden, bis er die gleiche Geschwindigkeit hatte, wie der Kleinbus, auf den sie aufmerksam geworden war. Mit einem Lächeln schaute sie aus dem Seitenfester ins andere Fahrzeug. Dem Schriftzug nach war es der Firmenwagen einer Gartenbaufirma. In dem Kleinbus drückten sich zwei junge Kerle die Nasen an den Seitenscheiben platt. Insgesamt waren vier vermeintliche Gärtner in Arbeitshosen und mit nackten, braungebrannten Oberkörpern auf den knallroten Ferrari mit der kessen Fahrerin aufmerksam geworden - es kam Stimmung auf. Die Blondine schob ihre Sonnenbrille bis auf die Nasenspitze vor und zwinkerte ihnen zu, dann hupte sie und gab wieder Gas, um vor dem nächsten LKW auf die linke Spur ziehen zu können.

»Hübsche Kerle, oder?«

Der Autoverkäufer zuckte teilnahmslos mit den Schultern, sah das Hinweisschild für einen Rastplatz in wenigen Kilometern und sagte im Befehlston: »Sie werden auf diesem Rastplatz halten und dann übernehme ich das Fahrzeug.«

»O.K.«

Sie gab dem italienischen Hengst noch mal die Sporen, knackte für wenige Sekunden die Grenze von 300 Stundenkilometern und stöhnte gepresst mit zugekniffenen Augen.

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