Category: Romanze Geschichten

Nordseeromanze

by swriter©

Copyright by swriter August 2015

Kleine Wolken zogen träge am Himmel entlang, getrieben von einem schwachen Wind, der aus östlicher Richtung über die Küste wehte. Die Sonne hatte ihre volle Strahlkraft noch nicht erreicht. Es war gegen neun, als ich auf den Balkon trat und meinen Blick über den Horizont schweifen ließ. Der Wetterbericht verhieß schwülwarmes Klima mit Temperaturen an die 30-Grad-Grenze. Dank des immerwährenden Lüftchens hier an der Küste würde man die Hitze weniger stark zu spüren bekommen. Ich stand im Schlafanzug vor meiner Balkontür und kratzte mir gedankenverloren den Bauch. Ein Handgriff zwischen die Beine justierte die obligatorische Morgenlatte, dann drehte ich mich um die eigene Achse und zog mich in mein Hotelzimmer zurück. Ich marschierte gleich durch ins Badezimmer, wo ich mir das Duschwasser lauwarm einstellte. Ich warf meine Klamotten achtlos auf den Boden und spielte einen Moment mit dem Gedanken, nackt wie ich war auf den Balkon zurückzukehren. Ich verwarf die Idee, da ich mir kurz darauf nicht mehr erklären konnte, warum mir überhaupt so ein dummer Gedanke gekommen war. Was würde es mir bringen?

Eine Viertelstunde später machte ich mich auf den Weg zum Frühstücksbuffet. Ein weiterer Tag meines Jahresurlaubes stand auf dem Programm. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich ihn verbringen würde. Ich war allein in den Urlaub gefahren. Früher hatte ich die armen Individuen bedauert und abschätzig bedacht, die alleine die Strandpromenade entlang flanierten, ihren Espresso einsam tranken oder die ohne Begleitung Dinge unternahmen, die man besser zu zweit erleben sollte. Nun war ich selber einer der Bedauernswerten, die keinen Partner an ihrer Seite hatten, mit dem sie die Freuden des Urlaubes teilen konnten. Ich war ein 36-jähriger Alleinreisender, stand in der Blüte meines Lebens und hatte niemanden. Das mag verzweifelt klingen, aber in manchen Situationen empfand ich so und sehnte mich zurück nach besseren Zeiten. Zeiten, in denen ich nicht alleine verreist bin. Zeiten, in denen bei meiner Frau noch kein Hirntumor diagnostiziert wurde. Zeiten, in denen sie putzmunter war, das Leben und ihren Ehegatten geliebt und in denen sie die Urlaubszeit mit mir in vollen Zügen genossen hatte.

Seit sechs Monaten war ich Witwer. Zum Glück blieben keine Kinder zurück, denen man den frühen Tod der Mutter hätte erklären müssen. Es genügte schon, mir das alles klarzumachen, obwohl ich bis heute nicht verstehe, warum das Schicksal ausgerechnet Sophie treffen musste und indirekt mich, als überlebenden Angehörigen. Ich habe lange keinen Sinn darin gesehen, alleine zu verreisen. Mit wem sollte ich die Urlaubsfreuden teilen? Mit wem sollte ich Gespräche führen, die Eindrücke des Tages aufarbeiten? Ich bin gefahren, weil mir zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen ist. Nach Sophies Tod habe ich mich in Arbeit gestürzt und Überstunden ohne Ende geschoben. Irgendwann war mein Chef auf mich zugekommen und hatte mich verdonnert, die aufgebauten Überstunden abzufeiern und zu Hause zu bleiben. In meiner Wohnung erinnerte mich so Vieles an Sophie und ich ertrug es nicht, ständig mit den Erinnerungen an bessere Zeiten konfrontiert zu werden, ohne die Chance zu haben, diesen entfliehen zu können. Also hatte ich kurzerhand zwei Wochen Urlaub an der Nordsee gebucht und mich in einem guten Mittelklassehotel, direkt am Strand gelegen, einquartiert.

Ich hatte jedoch die Einsamkeit und die Erinnerungen unterschätzt. Sophie und ich sind früher regelmäßig verreist, hatten beinahe jede Stunde des Tages gemeinsam verbracht und ich schwöre, ich hatte jede Minute mit ihr genossen. Wir waren fünf Jahre verheiratet gewesen. In dieser Zeit hatte es zahlreiche Urlaube und Kurzausflüge gegeben. Ich vermisste Sophie, wollte sie an meiner Seite haben, damit ich mich nicht so verdammt einsam fühlte in meinem Mittelklassehotel an dem feinen Sandstrand, mit dem schönen Wetter und den gut gelaunten Urlaubern um mich herum. Ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, vorzeitig abzureisen, in der Hoffnung, mich zu Hause irgendwie besser ablenken zu können, denn hier an der Nordsee drohte mir erst recht die Decke auf den Kopf zu fallen. Doch dann geschah etwas, das mich mein Vorhaben überdenken ließ, denn ich lernte jemanden kennen, der eine Art Lichtblick in meinem tristen Alltag darzustellen schien.

Ihr Name war Susanne, und sie war die erste Frau, die ich seit langer Zeit wahrgenommen habe. Wir sind uns auf der Promenade begegnet, wo ihr der Riemen der Handtasche gerissen war. Ihre Tasche war zu Boden gefallen und deren Inhalt hatte sich vor meinen Füßen auf dem heißen Asphalt verteilt. Ich ging zufällig an ihr vorbei und reagierte prompt. Ich bückte mich, um ihr beim Aufheben der verstreuten Güter behilflich zu sein, und ging dabei so energisch zu Werke, dass ich mich übereilt bewegte und ihr in die Quere kam. Wir stießen mit den Köpfen zusammen, glücklicherweise nur dezent und es war nichts passiert. Wir beide fanden die Situation amüsant und konnten über den Vorfall lachen. Susanne ließ sich gerne von mir helfen, und nach einer Weile hatten wir ihre zahlreichen Utensilien zusammengeklaubt. Für mich war es selbstverständlich, ihr zur Hand zu gehen, und damit war die Angelegenheit für mich dem Grunde nach erledigt. Susanne bedankte sich herzlich und ging ihres Weges.

Knapp eine Stunde später traf ich sie erneut. Dieses Mal sah ich sie an der Promenade draußen in einem Café sitzen, wo sie ein Getränk genoss und sich die Sonne aufs Gesicht scheinen ließ. Sie war allein, und als sie mich entdeckte, lächelte sie mich strahlend an. Ich blieb stehen und begrüßte sie unbeholfen. Ich fragte beiläufig, ob sie ihre Sachen unbeschadet in ihr Hotel bekommen hatte, was sie mir versicherte. Ich war überrascht, als sie mich einlud, ihr auf einen Kaffee Gesellschaft zu leisten. Mir war sie von Anfang an sympathisch vorgekommen und ich hatte natürlich ohnehin nichts Sinnvolleres mit meiner Zeit anzufangen gewusst. Ich war dankbar für die Abwechslung und setzte mich zu ihr. Da ihr Latte macchiato zur Neige ging, bestellte ich uns beiden zwei Neue und kam mit Susanne ins Gespräch. Wir machten uns einander bekannt und erfuhren voneinander, dass wir beide alleine den Urlaub verbrachten. Wir erzählten uns, wo wir wohnten, was wir bereits am Ort unternommen hatten und welche Pläne wir für die nächsten Tage verfolgten.

Ich fühlte mich ausgesprochen wohl bei der Unterhaltung und genoss das Gespräch. Ich war verwundert, wie schnell die Zeit verging. Wir bestellten weitere Getränke, ich lud sie auf ein Stück Kuchen ein und bemerkte nicht, wie sich der Himmel langsam zuzog und es immer düsterer wurde. Erst als es unerwartet zu regnen anfing, beendeten wir unser Gespräch und zogen uns in die Sicherheit eines Unterstandes zurück. Dort harrten wir aus, bis der Platzregen vorüberging und die Sonne erneut strahlte, als wäre nichts geschehen. Unsere Kleidung war feucht, und Susanne fühlte sich sichtlich unwohl in ihrer Haut. Wir verabschiedeten uns voneinander und beschlossen, uns etwas Trockenes anzuziehen. Als Susanne vorschlug, uns später ein weiteres Mal zu treffen, sagte ich nicht Nein, hatte ich doch ohnehin nicht anderes vor. Ich zog mich in meinem Hotelzimmer um und wartete, bis die Zeit verstrich, um mich dann endlich wieder auf den Weg zu machen.

Ich traf mich mit Susanne in einem griechischen Restaurant. Sie sah fantastisch aus. Sie hatte sich für ein elegantes langes Kleid entschieden, das ihr ausgezeichnet stand. Ihre Sonnenbrille hatte sie im Hotel gelassen. Das lange dunkle Haar trug sie hochgesteckt. Susanne war eine attraktive Frau, die ich auf Anfang dreißig schätzte. Mir gefiel sie. Sie strahlte eine selbstbewusste Art aus, war dabei sympathisch und sah einfach klasse aus. Ich fragte mich, warum sie niemand in den Urlaub begleitete. Wir teilten uns eine Flasche Rotwein und gaben unsere Bestellung auf. Wir intensivierten unser Gespräch vom Nachmittag und vergaßen die Zeit. Es wurde spät, und eine weitere Flasche Wein wechselte den Besitzer. Obwohl wir uns nicht kannten, gingen uns die Gesprächsthemen nicht aus.

Seit langer Zeit fühlte ich mich wohl in meiner Haut und musste nicht ständig an meine verstorbene Frau denken. Als ich einmal kurz die Toilette aufgesucht hatte, wurde ich unsicher und fragte mich, ob ich mich amüsieren durfte. Ich war Witwer, meine Frau war gerade mal sechs Monate tot ... Durfte ich mich angeregt mit einer anderen unterhalten? Zum Glück belasteten mich die trüben Gedanken nur kurz, und ich kehrte gelöst zu Susanne zurück, die während meiner kurzen Abwesenheit nichts von ihrer sympathischen Ausstrahlung eingebüßt hatte. Wir waren die letzten Gäste im Lokal, und der Wirt hätte uns beinahe vor die Tür setzen müssen. Susanne und ich verließen gut gelaunt das Restaurant und waren zugleich melancholisch gestimmt, da der schöne Abend auf sein Ende zuging. Susanne war müde, der Alkohol hatte sie träge werden lassen. Für einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken, sie in mein Hotelzimmer einzuladen, um den Abend gebührend ausklingen zu lassen. Dies kam mir dann aber nicht richtig vor, und Susanne machte auch keine Andeutung in diese Richtung.

Ich begleitete sie zu ihrem Hotel, und sie gab mir zum Abschied einen zärtlichen Kuss auf die Wange, den ich Minuten später noch auf meiner Haut brennen spürte. Wir versprachen uns, am nächsten Morgen Kontakt aufzunehmen. Ich kehrte in mein Hotel zurück und setzte mich auf den Balkon. Ich starrte lange in die Dunkelheit und lauschte dem Rauschen der Wellen, die sich am Strand brachen. In Gedanken war ich bei Susanne. Die Frau faszinierte mich und ich entschied, dass es richtig war, ihr nahe sein zu wollen. Ich erlaubte mir, Spaß zu haben, Freude zu empfinden und am Leben teilzuhaben. Ich war überzeugt, Sophie würde sich das für mich wünschen.

Beim Frühstück ließ ich mir nicht viel Zeit. Ich beschränkte meine Bedürfnisse auf zwei Tassen Kaffee, Rührei mit Speck und einem süßen Brötchen. Ich war aufgeregt und freute mich, Susanne wiederzusehen. Wir wollten uns gegen zehn vor ihrem Hotel treffen. Dort würden wir besprechen, ob und was wir an diesem Tag zusammen unternehmen wollten. Ich war vor der Zeit da und tigerte unruhig vor dem Eingang umher. Sie kam fünf Minuten zu spät aus dem Hotel und ging auf mich zu, doch ich war nicht sauer auf sie. Ich freute mich, sie zu erblicken. An diesem Tag trug sie ihr Haar offen. Die Sonnenbrille saß ihr auf der Nase. Ihr sympathisches Lächeln erfreute mich. Susanne hatte eine gute Figur. Nicht schlank, aber dafür wohl proportioniert. Mir war bereits am Vortag ihr üppiger Busen aufgefallen, doch an ihr war mehr zu bemerken, als dass ich diesem Umstand mehr Aufmerksamkeit als nötig

beigemessen hätte.

Als sie neben mir stand und mich begrüßte, war mir, als gehe bei mir die Sonne auf.

„Hallo Markus ... Gut geschlafen?"

Ich freute mich über ihren freundschaftlichen Kuss auf meine Wange und erwiderte: „Ja, sehr gut."

Ich konnte ihr ja schlecht erzählen, dass ich nur wenig Schlaf finden konnte, da ich ständig an sie denken musste.

„Was wollen wir heute unternehmen?", fragte sie mich aufgeweckt. Für Susanne stand fest, dass wir auch diesen Tag miteinander verbringen würden. Mir war es nur recht. Ich wollte mir keine Gedanken machen, wo es am Ende hinführte und ich hatte ehrlich nicht im Sinn, diese attraktive Frau ins Bett zu bekommen. Früher hatte ich mir schnell ausgemalt, wie es wäre, die schöne Frau auf meine Matratze zu lotsen. Als ich Sophie kennengelernt hatte, lernte ich die Nähe und Liebe zu einer Person zu schätzen und erkannte, dass es mehr gab, als nur den Körper einer Frau zu spüren. Bei Susanne sah ich es ähnlich entspannt. Ich ließ das Ende bewusst offen und plante nichts im Voraus. Ich wollte mich überraschen und mich ein Stück weit treiben lassen.

„Was hältst du von einem Spaziergang die Promenade entlang?", schlug ich vor.

„Gerne. Aber nur, wenn ich dich heute zu einem Latte macchiato einladen darf."

„Damit sind wir uns schon einig geworden."

Wir gingen nebeneinander her und unterhielten uns angeregt. Mir kam es zu früh vor, ihre Hand zu ergreifen, sodass ich einen halben Schritt Abstand zwischen uns ließ. Ich gab mich als der gute Freund aus, denn mehr war ich ja definitiv nicht zu diesem Zeitpunkt. Wir kehrten in einem Eiscafé ein und ich ließ mich von Susanne einladen. Sie setzte ihre Sonnenbrille ab und steckte sie sich ins Haar. Sie sah einfach fantastisch aus. Ich studierte ihre strahlenden Augen, die vollen Lippen, das süße Grübchen an der Wange und ließ meinen Blick auch gerne über ihr Outfit wandern. Sie hatte sich an diesem Vormittag für eine dunkle Bluse entschieden, deren obere Knöpfe sie offen trug. Ihr Dekolleté blitzte auf und ich erwischte mich einige Male, wie ich Susanne auf den Ansatz ihres Busens schaute. Ich hoffte, sie würde es nicht bemerken. Dazu trug sie eine weiße kurze Hose, die farblich gut mit ihren braun gebrannten Beinen korrespondierte.

Ich bemerkte, wie andere Männer Susanne unverhohlen angafften, und auch wenn es keinen Grund dafür gab, erfüllte es mich mit Stolz, eine so attraktive Begleitung an meiner Seite zu haben. Zuweilen kam ich mir wie ein verliebter Teenager vor, obwohl ich gar nicht plante, Susanne an mich zu binden. Es fühlte sich nur so verdammt gut und lebendig an, in ihrer Nähe zu sein und ich nahm mir fest vor, die Tage mit ihr in vollen Zügen zu genießen. Sie hatte mir am Vortag bereits von sich erzählt. Sie war 33 und arbeitete als Sekretärin in einer Baustofffirma. Sie hatte sich vor einigen Monaten von ihrem Freund getrennt und bezeichnete ihren Status als Single. Ursprünglich wollte sie den Urlaub gemeinsam mit einer guten Freundin verbringen, doch als diese sich das Bein gebrochen hatte und auf diese Weise unpässlich geworden war, hatte sich Susanne entschieden, die Reise alleine anzutreten. Ich hatte ihr von Sophie erzählt und war überrascht, wie mitfühlend Susanne mir gegenüber auftrat, und dennoch nicht übertrieben Mitleid spendete. Sie ging souverän mit der Situation um.

Nach unserem Abstecher ins Eiscafé machten wir uns wieder auf den Weg und flanierten die Promenade entlang. Es herrschte Niedrigwasser, und so kam Susannes Vorschlag nicht überraschend, eine kleine Wattwanderung zu unternehmen. Das Wasser hatte sich zurückgezogen, sodass man Hunderte Meter weit ins Meer laufen konnte und doch kaum nasse Füße bekam. Ich hatte alleine das ein oder andere Mal einen Marsch durch das Watt riskiert, doch gemeinsam mit Susanne versprach dies ein besonders interessantes Erlebnis zu werden. Ich zog meine Schuhe aus und Susanne nahm ihre Sandalen in die Hand. Als wir den Strand überquerten und in den feuchten Matsch marschierten, brannte die Sonne erbarmungslos auf uns herab. Zum Glück ging etwas Wind, sodass es einigermaßen erträglich war. Das Watt war mit Pfützen und unebenen Huckeln überseht, und Susanne drohte das ein oder andere Mal auszugleiten. Als sie meine Hand ergriff, um sich Halt zu verschaffen, sagte ich nicht Nein, und gemeinsam wagten wir uns immer tiefer ins ausgetrocknete Meer hinein.

Ich kann nicht sagen, wie lange wir unterwegs gewesen sind, doch irgendwann erreichten wir die Wasserlinie und badeten unsere Füße in der kalten Nordsee. Wir sahen uns um und waren beide von dem Ausblick angetan. Als wir voreinander standen, sahen wir uns in die Augen. Ich war gut einen Kopf größer als Susanne und sie musste zu mir hinauf blinzeln. Wir schwiegen und lächelten. Sie hielt immer noch meine Hand. Ich spürte undefinierbare Gefühle in mir und konnte meinen Zustand nicht anders erklären, als mit großer Zufriedenheit über den Moment, in dem ich mit einer schönen und sympathischen Frau Hand in Hand mitten im Meer stand. Seit der Zeit mit Sophie habe ich keine Frau mehr küssen wollen, doch jetzt schien mir die richtige Zeit zu sein, daran etwas zu ändern. Ich sah Susanne tief in die Augen und zuckte mit dem Kopf nach vorne. Ich zögerte, war unsicher und wollte den schönen Moment nicht zerstören. Was, wenn sie nicht wollte, oder es ihr zu schnell ging? Ich erkannte bald, dass ich mir zu viele Gedanken machte.

Susanne begab sich auf ihre Zehenspitzen und hielt sich an mir fest, während sie ihre Lippen sanft auf meinen Mund presste. Ich sah, wie sie die Augen schloss, den Kopf leicht schief hielt und die zärtliche Geste vollzog. Ich fühlte mich überrumpelt, ließ mich aber sogleich auf diese Intimität ein. Ich legte meine Hand auf ihre Taille und zog Susanne sanft zu mir. In der Zwischenzeit hatte sie die Lippen geöffnet, ihre Zunge bat um Einlass. Wir tauschten einen innigen Zungenkuss aus, den ich in vollen Zügen genoss, während ich mir nicht vorstellen konnte, ihn zu beenden. Ich hatte Sophie in der Vergangenheit gerne geküsst, doch Küssen war mir nie das Wichtigste gewesen. Mit Susanne liebte ich diese Art des Austausches von Zärtlichkeit und fand großen Gefallen an unserer momentanen Zweisamkeit. Susanne ließ irgendwann von mir ab und trat einen Schritt zurück. Sie blickte mich erwartungsvoll an, so als schien sie auf ein Urteil zu warten. Ich fand keine passenden Worte und meinte lapidar: „Wow!"

Susanne grinste und wollte nichts weiter ergänzen.

Sie nahm meine Hand und ging ein paar Schritte mit mir. Nach zehn Metern zog ich sie an mich und legte meinen Arm um ihre Schulter. Sie lehnte den Kopf an mich, und gemeinsam schritten wir die Wasserlinie ab. Ich fand, ich müsse etwas sagen, doch mir fiel nichts ein, und Susanne schien sich damit zufriedenzugeben. Manchmal braucht es keine Worte, fand ich und schwieg die nächsten Minuten.

„Vielleicht sollten wir lieber wieder zurückgehen", schlug Susanne vor.

Mein Blick wanderte über das Meer. Ich hatte keine Ahnung, wann das Hochwasser einsetzen würde, doch von der Flut wollte ich auch nicht überrascht werden. Mir war es egal, ob ich weiter im Watt herumwanderte oder zurück zur Promenade ging, solange Susanne an meiner Seite bleiben würde. Mir kam es surreal vor, dass ich Susanne erst am Tag zuvor kennengelernt hatte. Es kam mir so vor, als würde ich sie viel länger kennen und als ob längst ein enges Band zwischen uns geknüpft worden wäre. Wir schlenderten Hand in Hand auf den Strand zu und ließen das Wasser bald hinter uns. Je näher wir der Promenade kamen, umso dringlicher fragte ich mich, wie es weitergehen würde, wenn wir das Watt verlassen hatten. Ich rechnete nicht damit, dass Susanne mich auf ihr Hotelzimmer einladen würde und ich war mir auch nicht sicher, ob ich das unbedingt wollte. Dennoch war ich ein klein wenig enttäuscht, als sie meinte: „Wollen wir noch etwas trinken gehen?"

„Ja, gerne", antwortete ich und überließ ihr die Wahl des Lokals.

Wir hielten uns gut eine Stunde auf, und nachdem ich die Rechnung beglichen hatte, unterbreitete ich einen Vorschlag. „Warst du schon in der Therme?"

Ich hatte mir das Schwimmbad direkt an der Promenade einmal angesehen, war aber nicht zwingend überzeugt gewesen. Es gab nur ein großes Wellenbad und ein Kinderbecken und auch was die Liegen und Stühle anging, sah es nicht rosig aus. Allerdings malte ich mir sogleich aus, wie Susanne im Bikini vor mir stehen würde, und ich brannte darauf, diesen Anblick auf mich wirken zu lassen. Susanne schien nicht sogleich begeistert zu sein und druckste herum, ohne zu begründen, warum es ihr nicht recht war, bis ich endlich begriff, dass sie unpässlich war. Schlagartig zerplatzte mein Traum, Susanne noch an diesem Tag in ihr Hotelzimmer zu begleiten und mich eng an sie zu schmiegen. Eigenartigerweise deprimierte mich die Erkenntnis wesentlich weniger, als ich es erwartet hätte.

Natürlich hatte ich Sehnsucht und wünschte mir, Susanne näher zu kommen, ihren Körper zu erkunden und Lust mit ihr zu teilen. Aber ich war schon zufrieden, in ihrer Nähe zu sein und mich mit ihr unterhalten zu können. Ich erkannte mich kaum wieder und horchte in mich hinein. War ich etwa verliebt? Sollten sich so tiefe Gefühle nach so kurzer Zeit eingestellt haben? Ich fand mich damit ab, dass ich Susannes Körper erst zu einem späteren Zeitpunkt würde erkunden können und meinte: „Ja, OK. Wir können das ja an einem anderen Tag in Angriff nehmen ... Hättest du Lust auf einen Stadtbummel?"

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